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Marie Luise Knott

John Cage, Empty Mind, Herausgegeben zusammen mit Walter Zimmermann, Berlin 2012

Erschienen: 13.08.2012
Bibliothek Suhrkamp 1472, Gebunden, 243 Seiten
ISBN: 978-3-518-22472-4

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Walter Zimmermann

 

Inhalt

»In welchem Käfig man sich auch befindet, man muß ihn verlassen«, lautete das Credo von John Cage (1912 bis1992), dem international bekanntesten experimentellen Komponisten des 20. Jahrhunderts. Weniger bekannt ist sein literarisches Werk, das gleichberechtigt neben dem musikalischen steht. Cage ließ sich von Erik Satie, Robert Rauschenberg, James Joyce, Merce Cunningham und Marcel Duchamp inspirieren - verwandten Geistern, mi
t denen er Zeit seines Lebens täglich umging. Indem er seine poetisch-philosphischen Versuche musikalischen Verfahren unterwarf, verwandelte er Vorträge über das Komponieren, über den Zufall oder die Kategorie der Unbestimmtheit in Ereignisse, schwebend, der Festlegung entzogen – nicht anders als die Musik der Absichtslosigkeit, von der er träumte.
John Cage als Wortkünstler harrt hierzulande noch der Entdeckung. Empty Mind versammelt eine Auswahl poetischer Schlüsseltexte, an denen sich die unerschöpfliche Freude, neue Wege zu gehen, Grenzen zu überschreiten, ablesen läßt. Eine Freude, die ansteckend wirkt - auch auf all jene, die sich noch nie mit seinem Werk beschäftigt haben.
 
 
Auszüge aus dem Nachwort von Marie Luise Knott
 
Zeit seines Lebens hat John Cage geschrieben und Vorträge gehalten. Sein umfangreiches schriftliches Oeuvre hat er in den von ihm typographisch streng kon
zipierten Schriftenbänden, den Lectures & Writings, nur in einer Auswahl ediert: Silence (1961), A Year from Monday (1967), M: Writings ‚ ’67-’72 (1973), Empty Words, Writings ’73-’78 (1981), X: Writings ’79-’82 (1983) und Themes & Variations (1982). Auf Deutsch ist bislang nur ein kleiner Teil veröffentlicht, und keines seiner Bücher wurde jemals vollständig ins Deutsche übersetzt. Empty Mind versteht sich als ein Versuch, literarische und ästhetische Schlüsseltexte des Komponisten nicht nur erneut vorzustellen, sondern darüber hinaus in Anordnung und typographischer Gestaltung auch eine Ahnung von der visuellen Dimension dieser Wortkompositionen zu vermitteln.

 

Im Vorwort zu Silence unterscheidet Cage drei Kategorien seiner Schriften: Zunächst jene, die als “konventionelle und informative Vorträge” konzipiert wurden; ferner solche, die für den Druck gedacht waren, d.h. die ihre Energie und Poesie weniger im Hören als vielmehr im Sehen entfalten. Und schließlich Texte, vor allem Vorträge, die “in ihrer Form ungewöhnlich” waren, da er in ihnen “analoge Kompositionsprinzipien wie auf dem Gebiet der Musik” anwandte. Er halte “diese Vorträge nicht, um die Leute zu überraschen, sondern aus poetischer Notwendigkeit”.  

Um den Käfig von “Verstehenshuberei“, von Sinn und Absicht zu verlassen, suchte Cage auch in seiner Wortkunst nach besonderen Verfahren, die Konventionen zu durchbrechen oder auszusetzen. Als spezifisch literarisches Stilmittel verwendete er das Mesostichon − ein Verfahren der visuellen Poesie, das, aus der Antike stammend, über die Jahrhunderte hinweg meist als schmückendes Beiwerk des “eigentlichen” Gedichts angesehen wurde. Indem Cage das Beiwerk zum Bauprinzip macht und alle Zeilen an der „zufälligen Notwendigkeit der gesetzten Mittelachse“ (Reichert) orientiert, entzieht er die Buchstaben, Silben und Worte den inhaltlichen Absichten. Die Verwebung von waagerechter und senkrechter Notation mit den wild ausfransenden Zeilenrändern macht es Autor wie Leser unmöglich, sich in einen poetischen Sinn zu versenken. Das Ego wird ausgesetzt, und die Literatur zeigt ihre Lettern. 
Auch seiner autobiographischen Anekdoten-Sammlung, der Vorlesung Unbestimmtheit, hat Cage jegliche Kontrolle und Gefühlsregung ausgetrieben. Derart „leer-gesinnt“ vorgetragen, von den Zeiteinheiten gerahmt, feiern die Geschichten die Freude, Offenheit und Absurdität des Lebens. 
Konsequent setzte Cage in seinen Klangwortversuchen auf die Kraft der Poesie, „weil sie erlaubt, in die Welt des Wortes musikalische Elemente (Zeit, Klang) hineinzunehmen“. Überzeugt, daß „jede Kunst etwas vollbringt, was die andere nicht vermag”, schrieb er viele Texte für lautes Sprechen, für Aufführungen oder Hörspiele, die in Tonstudios aufgenommen wurden.
 


Der Band Empty Mind versammelt Arbeiten aus den drei genannten literarischen Werkkomplexen: Neben den von der Form her konventionellen Beiträgen Andere Völker denken (ca. 1927), Vorwort zu Lecture on the Weather (1975) und Autobiographischer Abriß (1982) stehen vor allem Texte, die mit Hinblick auf die Aufführung verfaßt wurden: die erste Folge seiner Tagebücher (I – XXIX; 1965), die er fortsetzte und von denen er insgesamt sieben Folgen verstreut in seinen Büchern veröffentlichte; die imaginären Gespräche Ein Alphabet (1982), Essay (1985) und Erik Satie (1958), sowie die Ideen-Sammlung Empty Mind aus Themes & Variations. Wie in Cages eigenen Büchern sollte auch im vorliegenden Band ein loses Nebeneinander geschaffen werden, so daß jeder Text bei sich ist, seinen Mittelpunkt in sich selbst hat. Denn Cage setzte auf die Koexistenz des Ungleichen, auf die Vielfalt der Erscheinungen und auf die Pluralität der Zentren. Die ins Buch eingestreuten Partiturblätter aus der Komposition Renga (1976) zeigen zeichnerische Fragmente aus den Tagebüchern von Henry David Thoreau. Fasziniert von dessen Naturbeobachtungen und davon überzeugt, daß die Wolken, die Kanus, die Tierspuren und die Schneckengehäuse Klangliches animieren, kopierte Cage die einzelnen Skizzen aus Thoreaus Tagebuch, übernahm die Bilder als Noten und legte in der Spielanweisung fest, daß die jeweiligen Partikel der Zeichnungen gesungen oder mit einem Instrument aufgeführt werden sollten. Über das titelgebende japanische Kettengedicht Renga schrieb er: „Traditionellerweise wird der Renga von einer Gruppe von Poeten geschrieben, die abends zusammenhocken und nichts Besseres zu tun haben. Aufeinanderfolgende Zeilen werden von verschiedenen Poeten geschrieben. Jeder versucht, die verschiedenen Bedeutungsmöglichkeiten seiner eigenen Zeile von der vorhergehenden Zeile so fern wie möglich zu halten.“ Mit den Noten aus Muscheln und Kerzenleuchtern wollte er, ähnlich wie die japanischen Poeten, die Köpfe öffnen „für andere Beziehungen als die üblicherweise wahrgenommenen“.