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Marie Luise Knott

„Wolken und Landschaften. Zu einigen Bildern von Peter Frie“, in Peter Frie, Ausstellungskatalog, Galerie Lars Brohan, Stockholm Winter 2004/2005.

 


Wolken und Landschaften 

 

I

Seit er malt, ist Peter Frie seinem Sujet treu. Er malt nichts als Landschaften, vorwiegend schwedische, hier undda auch finnische, englische, norwegische und seit jüngster Zeit auch solche, die vielleicht nach brandenburgischen aussehen, sofern Fries Landschaften überhaupt nach konkreten Landschaften aussehen. „Ich frage mich“, sagt Frie,  „warum man von Landschaftsmalerei immer neu fasziniert ist. Es ist doch alles schon so oft gemalt worden.“ (1) Obwohl Peter Frie scheinbar an der tradierten Malkunst festhält, an der Landschaftsmalerei ebenso wie an der jahrhundertealten Praxis, Formen durch Licht und Schatten zu modellieren, zeigen seine Bilder, dass längst nicht „alles schon so oft gemalt“ ist. Sie ziehen den Betrachter in einer neuen Weise unmittelbar in Bann. 

Die weitgehend autonomen Landschaftsbilder des 16. Jahrhunderts verdankten ihr Entstehen dem Städter, der sich aus den engen Mauern heraus in die freie Natur sehnte und den Traum vom Lande zu träumen begann. Er baute sich eine Villa, und der Maler, der diese Villen malte,  platzierte in den Wänden der Säle Traumlandschaften als illusionistische Fensterausblicke – griechische Ideallandschaften, Ansichten eines versunkenen Goldenen Zeitalters oder Phantasiereiche, in denen die Alpen ans Holländische Meer gerückt waren. Die Landschaftsmalerei entwickelte sich rasch, verband das Interesse an fremden Welten oder an Phänomenen der Natur mit persönlichen Empfindungen und Sehnsüchten.  Landschaften wurden als Bühne von Figuren und deren Geschichten, sowie um der religiösen Erbauung willen entworfen – sie thematisierten Faszination wie Kritik des Fortschritts,  feierten nationale Mythen oder zerstörten ebendiese. 

In der modernen Kunst jedoch hat die Landschaft als Sujet nicht zuletzt aufgrund der Konkurrenz mit der Fotografie für Maler an Attraktivität eingebüßt – Land-Art, Installationen und Videos tragen das Thema der Landschaft weiter. Heute, im Zeitalter von Hiroshima und Kyoto, kann man dem Verhältnis zur Natur kein bisschen naiv entgegentreten.  

 

II

Alle Kunst ist der Versuch, das Unsichtbare sichtbar zu machen. In der klassischen Unterscheidung von Malerei und Fotografie, ist es die Fotografie, deren Bilder automatisch das Wissen mittransportieren, dass das Dargestellte nur ein Ausschnitt ist, denn Fotos entstehen, indem man durch eine Linse blickt. Die Malerei hingegen schuf auf dem begrenzten Format der jeweiligen Leinwand in sich geschlossene Kompositionen -  kleine inszenierte Welten, die gleichwohl die Natur nachahmten. 
Spätestens mit dem Einbruch der Fotografie schrie die Forderung an den Maler „Malt, was Ihr seht!“  in ihrer schmerzlichen Unhaltbarkeit nach etwas Neuem. Der Prozess des Malens selbst trat in den Vordergrund, die Leinwand wurde sich zum Thema. Parallel zur Betonung der Partialität jeder (ästhetischen) Erfahrung rückte der Akt des Kunstschaffens ins Zentrum. 
Das Thema der Nachahmung der Natur war erst einmal, wie es schien, vom Tisch. Gleichwohl haben zeitgenössische Landschaftsmaler zwei Probleme, die nicht so schnell vom Tisch sind: Wie werden sie Herr der vielen Landschaftseindrücke, die uns die kleiner gewordene Welt auf Reisen wie in Magazinen vor Augen führt, und wie verhalten sie sich zu den Landschaftsmalern der Vergangenheit, deren Ansichten sich alle längst in unsere Köpfe eingegraben haben. 
Jeder Maler resümiert immer auch die Geschichte der Malerei auf seine Weise – in Licht, Farbe, Raum und Zeit. In Fries Landschaften findet sich kein Haus, kein Auto, keine Straße, kein Strommast, kein Mensch und keine Maschine. Dabei enthalten sie jedoch keine Spur einer Zivilisationskritik, hier wird kein vorindustrielles Idyll inszeniert. Vielmehr ist es so, dass Frie seine Landschaften zunehmend leerräumt und entrückt. Früher gab es auf seinen Bildern im Vordergrund noch deutlich erkennbare Büsche, Bäume, Wege oder auch Täler, die den Horizont unterbrachen und so durch vertikale – aktive -  Elemente die Landschaften gegenwärtig machten, wiedererkennbaren Vordergrund schufen. In den jüngsten Bildern ist bereits der Vordergrund fernes Land, das in den Lokalfarben gold, braun, ocker, grün gehalten ist, ein Landmeer – unberührt von menschlichem Handanlegen. Kein Landidyll, das die Neuzeit ungeschehen machen möchte, sondern eine horizontale Essenz von Landschaft ,die es nachgerade zur tröstenden Gewissheit macht, dass die Natur von den Gewalten des Himmel, nicht des Menschen abhängig ist. Der Vordergrund, das Hier und Jetzt, liegt hinter uns; das, was wir sehen, ist immer das, was vor uns liegt – oder: vor uns läge, wenn es denn nicht Vision bliebe.  

„Auf der blauen Leinwand des Himmels/ sind die Wolken Farben/ für den leichten Pinsel des Windes./ Auf der Erde werden sie Schatten“  heißt es in dem Gedicht „Wolken“ von Gunnar Ekelöf, das Peter Frie zu den jüngsten Himmelsbildern bewegte. In diesen Gemälden ist die Erde ganz Reflex der himmlischen Gewalten - der Wolken, des Lichts, des Wassers -, sie selber besitzt kaum eigene Akzente, hier ein angedeuteter Weg, dort ein angedeuteter See – schwache Haltepunkte für das Auge und somit schwache Orientierungspunkte auch für die Sehnsucht, die die Bilder erzeugen,  sich in diese Landschaften hineinzubewegen. Denn die Wiesen und Anhöhen sind von enormer Zärtlichkeit, der Himmel ist ein sanfter Gestalter, unter dem sich die Landschaft als Hügelmeer präsentiert. All unsere Sinne werden auf diesen jüngsten Bildern angesprochen, wir spüren die Luft, riechen die Erde und „wissen“ unbewußt um Jahres- und Tageszeit.    
Die Empfindungen, die diese kaum ortbaren Landschaften transportieren, sind undramatisch. Es gibt keine Sonnenauf-  oder -untergänge,  keine Wolkenkumulationen, keine Gewitterannunciationen. Nichts dergleichen. Vorwiegendes Licht ist die Dämmerung, der Übergang also, morgens oder abends. Statt Überhöhung oder Allegorisierung überwiegt der Eindruck von Erwartung und Langmut. Nur hier und da  ragt ein orange-roter Farbtupfer aus der Landschaft, um einen Weg oder Stein anzudeuten und so Anziehungspunkte zu kreieren.  

Frie gelingt es, auf wundersame Weise die Luft spürbar zu machen, durch die Modifikation der Lokaltöne -  eine Technik, die der Kunstschriftsteller Basilius von Ramdohr in einem Brief an Caspar David Friedrich einmal eindrücklich beschrieb: „Zwischen mein Auge und die Gegenstände welche der Landschaftsmaler mir in der Ferne darstellt, drängt sich mir allemal soviel Luft, dass durchaus eine Art von Nebel oder von Duft gebildet wird, der die Lokalfarbe nicht bloß modifiziert sondern umwandelt. Je entfernter die Gegenstände von mir sind,  um desto auffallender werden diese Veränderungen.  Die braune oder grüne Farbe des Berges wird violett, blau, usw. “(2) . Was damals als gestrenge Mahnung an die Adresse des Romantikers gemeint war, liest sich heute als einfache maltechnische Erläuterung, denn wie kaum einem ist es Peter Frie in seinen jüngsten Bildern gelungen, bildnerische Weite und Tiefe zu erschaffen. Seine Himmelslandschaften sind präzise und luminos, die Landschaften selber sind unscharfe, doch äußerst lebendige Objekte des Himmelsspiels. 
Dabei dürfte auch die Größe von Fries Gemälden  (bis zu  4 Meter breit und 3 Meter hoch) entscheidend sein, denn großformatige Bilder schaffen, wie Mark Rothko einmal betonte, einen „Zustand der Intimität“(3), sie bewirken eine unmittelbare Transaktion, denn sie ziehen den Betrachter in sich hinein. Das auf den Bildern vorherrschende Sfumato verstärkt diesen Effekt: Wir sind es gewohnt, das, was wir nicht genau erkennen können, zu ergänzen, und gerade dieses Ergänzen-Müssen  erhöht im Betrachter den Akt der Lebendigkeit, des Hineingezogen-Werdens.

 

III 

Der französische Philosoph Deleuze hat einmal betont, dass es ein Irrtum sei zu glauben, ein Maler stünde zu Beginn seines Bildes vor einer leeren, weissen Leinwand (4). Der Maler, so Deleuze, habe in Wirklichkeit viele Dinge im Kopf oder um sich oder im Atelier. Und das alles sei schon in der Leinwand, mehr oder weniger virtuell, mehr oder weniger aktuell, bevor der Maler seine Arbeit überhaupt beginnen könne. Seine Aufgabe sei es also zuallererst, die Fläche zu leeren, zu räumen, zu reinigen. 
Peter Frie hat seine Landschaften leergeräumt. Darüber hinaus hatte er sich vor Jahren als „Hindernis“ -  als Mauer gegen die wirklichen Dinge gewissermaßen - einen weissen Rahmen als Konstruktionsprinzip erwählt. Durch diesen Rahmen, der vielfach größer war als die dargestellte Landschaft selber,  konnte er seine Bindung an den Gegenstand aufgegeben, was es ihm ermöglichte, alles Anekdotische abzuschütteln und sich ganz dem eigenen inneren Bild und somit malerischen Fragen zuzuwenden. Der weisse Rahmen, der seinen Bildern bis vor kurzem eigen war, gab die Tatsache wieder, dass alle seine Erinnerungen und Sehnsüchte nach Landschaftsbildern darum wissen, dass sie Bilder sind. 

Der oftmals übermächtige Rahmen war aus dickem von Farbpartikeln aus der Landschaft durchzogenem Ölweiss -  Grauweiss, Gelbweiss. In diese schweren, großen  Ölweiss-Flächen hatte er seine Landschaften eingelassen, so wie ehedem die Maler die sehnsüchtig fernen Landschaftsbilder der Fensterausblicke in die Wände der Villen eingelassen hatten. Die Ölfarbfläche bedrängte die Landschaften, die, so sanft ihr Anblick auch war, gegen das deckende Weiss  mit expressivem Malgestus und äußerst pastosen Farben ihren Raum verteidigen mußten. Die Landschaften wirkten wie schwer zugängliche Erscheinungen, dem Weiss des Vergessens abgerungene Erinnerungen, Landschaften, die trotz des festen Konstruktionsrahmens darum wussten, dass sie eine bedrohte Gattung sind. 

Vor etwa 2 Jahren zog  Peter Frie nach Berlin. Was suchte ausgerechnet er, der bislang in Schweden auf dem Land gelebt hatte und auf dessen Bildern nie eine zeitgenössische Behausung abgebildet war, im düsteren Grau eines Werner Heldtschen Häusermeers? Hier, wo in jüngster Zeit nicht nur am Potsdamer Platz immer mehr Monumente des Postindustrialismus den Blick verstellen?
Die neuesten Arbeiten machen deutlich, dass Peter Frie Berlin als „Exilort“ begriffen hat, als idealen Rückzugsort offensichtlich, an dem er, in nötiger Ferne zu den eigenen Wurzeln und den eigenen Gewohnheiten, das bisherige Konstruktionsprinzip seiner Leinwand kühn durchlüftet hat, ohne seinem malerischen Prinzip untreu zu werden. Er hat den Rahmen aufgegeben, ohne das bildnerische Prinzip zu verlieren. Herausgekommen ist eine vollständig neuartige Aufladung, die mehr Licht, Luft und somit Imaginationsraum in seine Bilder gebracht hat. Auf der Leinwand – die nunmehr als Ganze weiss grundiert ist -  bahnt sich neuerdings die Landschaft ihr Erscheinen unmittelbar selbst, sie ist nicht mehr darauf angewiesen, einen Rahmen gestellt zu bekommen, sie ist nicht mehr eingelassen, sondern schwebt darauf ohne festen Rand. Das Bild der Landschaft tritt  nunmehr,  riesigen Wolkenfetzen verwandt,  frei aus dem weissen Meer der Erinnerungslosigkeit hervor. Eine Schimäre? Nein: eine Vision, die Bildwerdung einer ästhetischen Erfahrung.

Fries Vision ist ein Sehnsuchtsland, das unbetretbar ist und gleichwohl tröstlich wirkt, wie es da auf der Leinwand erscheint -  nicht nur wegen der Zärtlichkeit, die die Landschaft verströmt, nicht nur wegen der verlässlichen Zuversichtlichkeit des Himmels, nicht nur wegen der einladenden Leere, die Raum gewährt. Die Landschaften Fries,  so weglos und ziellos, wie sie in diesen Zeiten reiner Nützlichkeiten einfach dasein können, brauchen den Menschen nicht. In ihnen tritt dem Betrachter kein Urteil, kein Wille entgegen. 

Peter Frie hatte sich in der Vergangenheit den weissen Rahmen zum bildnerischen Prinzip erwählt und so seine Spannung zwischen der Flachheit der Leinwand und der perspektivischen (und emotionalen) Tiefe der gemalten Landschaft geschaffen. Seine  methodische Strenge, mit der er über die Jahre ans Werk gegangen ist,  hat ihn zur Meisterschaft der Leichtigkeit geführt.