Weitere Beiträge

Marie Luise Knott

 

"Abstrakter Expressionismus, die documenta II und das Ende des Kalten Kunstkriegs", in Ästhetik + Politik. Neuaufteilungen des Sinnlichen in der Kunst, hg. von Michaela Ott  und Harald Strauß, Schriftenreihe der HFBK Hamburg, Hamburg 2009

 

Anmerkungen zur Wechselwirkung von Ästhetik und Politik


Ästhetische Produktionen, auch die politisch abstinentesten, unterliegen den politischen Einflüssen ihrer Zeit. Wenn die Werke die Zeitgenossenschaft überlebt haben, wenn also, um es frei nach Walter Benjamin zu sagen, der “Sachgehalt” eines Kunstwerkes mit der Zeit „in der Welt abstirbt“, tritt der „Wahrheitsgehalt“ deutlicher vor.  So weltlos die Kunst der abstrakten Expressionisten auch anmutet, ihre Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte ist eng an das politische Geschehen gebunden, ja von der Kriegs- und Nachkriegszeit tief geprägt. Erkundet man die zeitgenössischen Einflüsse und Rezeptionsweisen der abstrakten Expressionisten, erkennt man starke politische „Sachgehalte“.

 

1. Die documenta II

Die documenta II von 1959 verstand sich, so die offizielle Ankündigung, als "Bestandsaufnahme der Gegenwartskunst" 15 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus. Ausgerichtet wurde die Großschau im damaligen "Zonenrandgebiet” Kassel u. a. von Arnold Bode, dem Leiter des dortigen Kunstmuseums, der die documenta 1955 ins Leben gerufen hatte, und von Werner Haftmann, dem Kunstkritiker und Hamburger Professor, der zwei Jahre später, 1961 erster Leiter der Berliner Neuen Nationalgalerie wurde. Sie planten, die Kunstwerke im Fridericianum nicht nach Nationen zu hängen; denn ihre Gegenwartskunst war abstrakt, und die Sprache der Abstraktion war - so der formulierte Anspruch - universell. „Dort, wo die Freiheit sich durchsetzt“, argumentierte Haftmann im Vorwort des Katalogs (ganz Kind seiner Zeit), verschwinden „die Trennungen zwischen Nationen und Systemen“. Das war künstlerisches wie politisches Programm. „Westbindung“ hieß das, denn hinter den transnationalen Worten verbarg sich eine unbedingte Zugehörigkeitserklärung. Catherine David wird später die ersten documentas als "Kulturschaufenster des Marschallplanes" bezeichnen.
 
Als die bundesdeutschen Kuratoren der zweiten documenta kurz vor der Eröffnung die aus New York angelieferten Kisten auspackten, warf ihnen der Anblick der Werke ihr Konzept um. Der bildliche Eindruck der 144 US-amerikanischen Kunstwerke war dominant.  Neben den ausladenden, raumgreifenden, expressiven Leinwänden von Mark Rothko, Jackson Pollock, Franz Kline, William de Kooning, Sam Francis und Helen Frankenthaler sahen die abstrakten Arbeiten aus Europa von Wols, Soulages, Dubuffet, Nay, Hartung oder Winter still und - salopp gesprochen - alt aus. Haftmann und Bode verwarfen ihr Konzept der transnationalen Hängung, die Kunstwerke wurden wieder nach Nationen gebündelt. Die amerikanischen Werke hingen dicht gedrängt im Raum (siehe FOTO 1); es war, als sprängen die Gemälde den Betrachter an. Die Werke aus Europa hingegen hingen in klassisch musealer Manier an den Wänden. (siehe FOTO 2)
 
Die Abstraktion, die der Maler und Kunstprofessor Willi Baumeister 1947 in seiner Schrift "Das Unbekannte in der Kunst" mit Begriffen wie "Schöpfungsakt", "Numinoses", "Mysterium" besetzt hatte, war als Stildiktat  in der öffentlichen Reaktion 1959 umstritten; der Ausschluss nahezu der gesamten osteuropäischen, russischen und DDR-Gegenwartskunst hingegen wurde in den Presseberichten zur documenta II nicht einmal erwähnt. In der Abteilung „Lehrmeister der Moderne“ hing gerade mal ein Bild von Kazimir Malewitsch, von den russischen Konstruktivisten war keine einzige Arbeit ausgestellt. Für die Hauptabteilung „Gegenwartskunst“ hatten die Kuratoren nur einen Künstler aus „Ostdeutschland“ ausgewählt, nämlich den dissidenten Gerhard Altenbourg; aus Osteuropa war nur Tadeusz Kantor vertreten. Im Kalten Krieg war auch ästhetisch die innerdeutsche Grenze offensichtlich der „Limes des Abendlandes“ (Wilhelm Röpke). 
Ausgesucht hatten die zahllosen amerikanischen Beiträge der Schau tatsächlich nicht die documenta-Macher selber, sondern Porter McCray, der Leiter der internationalen Abteilung des New Yorker Museum of Modern Art, der die Interessen seines Hauses mit den kulturpolitischen Interessen des CIA zu koordinieren verstand. Heute weiß man, dass die CIA ab Ende der 1940er Jahre massiv in Europa kalte Kulturpolitik betrieb: Sie gründete ein europäisch-amerikanisches Zeitschriftennetzwerk, kreierte den „Kongress für kulturelle Freiheit“ und investierte nicht geringe Geldsummen in die Verbreitung der Kunst der abstrakten Expressionisten (Rothko, Pollock, de Kooning, Still). Hier und da taucht seither der Verdacht auf, die ach so freiheitlich daherkommende Kunstrichtung sei recht eigentlich Auftragskunst gewesen, die damals so viel beschworene Autonomie der Kunst nichts als ideologische Verbrämung. War die Abstraktion vielleicht gerade wegen ihrer Weltlosigkeit so anfällig für politische Zweckenfremdung? Und: Kann Politik ästhetische Entwicklungen beeinflussen?


Kulturell herrschte 1945 in Deutschland tabula rasa - im Unterschied zu 1918, als dadaistische und surrealistische Künstler-Gruppierungen lange vor der Novemberrevolution bereits von der Kraft der dissidenten Imagination und vom sich anbahnenden ästhetischen Neuanfang gekündet hatten. Der Nationalsozialismus hatte politisch wie ästhetisch alle Sinne der Menschen in seinen Bann von Ideologie und Terror eingeschnürt.  Ein Museum wie das Folkwang Museum in Essen etwa besaß bei Kriegsende nicht ein einziges Bild aus dem 20. Jahrhundert. Die Vertreter der Moderne - Paul Klee, Wassily Kandinsky, Max Ernst, Ernst Nolde, Georg Grosz oder Willi Baumeister - waren, sofern sie noch lebten, emigriert, befanden sich in Kriegsgefangenschaft oder hatten „privatisiert“.

Der „metaphysische Schock“ der Gleichschaltung und der „Fabrikation von Leichen“ (Arendt) stellte die Maler 1945 vor die Frage: Wie malen, da sich das Geschehene dem Bildwerden, der Imagination versagt. Wie Raum schaffen, sodass dieses, was nie hätte geschehen dürfen, in der Gesellschaft - und in der Kunst - im Ungesagten aufgehoben, ja: präsent blieb? Auf der Suche nach einem Neuanfang besann man sich politisch auf republikanische Traditionen und ästhetisch auf die klassische Moderne. Während einige Künstler an Otto Dix und Georg Grosz anknüpften, tickte der Zeitgeist alsbald abstrakt. Die Geschichte der Kunst, so hieß es bei Willi Baumeister, ist die Geschichte einer fortschreitenden Befreiung - von Religion, Auftrag, Inhalt. Diesem allgemeinen Fortschrittsglauben galt der Nationalsozialismus als barbarische Verirrung. Alles Narrative und Figurative war schlicht rückständig. Das Volk, das, wie Willi Worringer 1948 betonte, modernemüde zwischen 1933 und 1945 mit Hingabe ins Haus der Deutschen Kunst gepilgert war, musste umerzogen werden. Wie konnte man das Auge von der Propagandakunst lösen und wieder auf Punkt, Linie, Fläche und Farbe einschwören? „Frei von der Leibeigenschaft der Formen, losgelöst von der Pflicht einem Gegenstand oder Phantasiegebilde zu dienen, schreibt die Farbe ihre eigene Biographie,“ formulierte es „Der Monat“ 1959 in einer documenta-Rezension emphatisch. 


Das hohe Freiheitspathos der ziemlich unfreiheitlich auftretenden Vertreter von Informel und Tachismus passte ins kaltkriegerische basso continuo der damaligen Zeit. Haftmann formulierte sein Kunst-Diktat zur Abstraktion: „Nur freie Kunst ist auch künstlerisch hochwertige Kunst.“  Auch wenn es keinen unmittelbaren Antikommunismus in der Kunstkritik gab, richtete sich der Kampf letztlich gegen die gegängelte, politisch missbrauchte und beauftragte (figurative) Kunst - des Ostens, gegen den Realismus ebenso wie gegen den sozialistischen Realismus. Der Konformismus der Ärmelaufkrempelrepublik prägte auch den Kunstbetrieb. Und die Gesellschaft betrieb nur zu bereitwillig Volkserziehung. Ein Schüler, der 1956 aus der DDR nach Westfalen übersiedelte, bekam von seiner neuen Kunstlehrerin deutlich gesagt, welch geistes Kind er zu sein hatte: „Ab heute malst Du abstrakt“, lautete die Anweisung.. Menschlicher Tiefpunkt der damaligen Auseinandersetzungen war in Berlin 1955 der Streit zwischen den beiden Professorenkollegen Will Grohmann und Carl Hofer. Grohmann vertrat die abstrakte, Hofer die gegenständliche Position.
Hofer sprach von Nazimethoden, Grohmann beschuldigte Hofer, er sei undankbar, da er just die Strömung attackiere, der er in der Weimarer Zeit seine Karriere verdankt habe. (SIEHE KARIKATUR) Das klingt harmlos, war es aber nicht, denn Hofer starb mitten in dieser Auseinandersetzung an einem Herzinfarkt. 
Eskapismus und Beliebigkeit? 

Der freie Stil war vor Beliebigkeit nicht gefeit, von Konvention bedroht. Kein anderer als Günther Grass formulierte damals in seiner Parteinahme für Hofer die wesentlichen Kritikpunkte am Ungegenständlichen: Eskapismus und Beliebigkeit. Jede Kunst abstrahiere, aber gegenstandslose Kunst sei heute „völlig abgelöst von unseren Wirklichkeiten“ und im besten Fall Dekoration, die mit großen Namen verkleistert werde. Das war harter Tobak. Aber die Gefahr, dass die (abstrakte) Kunst gerade durch ihre Bekenntnishaftigkeit im Dekorativen hängen blieb, war nicht von der Hand zu weisen.
Die abstrakte Kunst war auf das Kunstgespräch angewiesen. Die Künstler brauchten die Kritik. Die Texte der Kritiker boten den Künstlern den interpretativen Rahmen und leisteten vielfach das Werk der Gefühlsübertragung. Im "Merkur" las man spöttisch über die Willkür von den neuartigen Interpretationen: „Schon Leonardo wusste, dass der Mensch von Natur aus dazu neigt, in Flecken Trugbilder hineinzudenken“. Trugbilder oder nicht - Tatsache ist, dass in dieser Malerei die „klassischen“ ästhetischen Kriterien nicht mehr griffen. Diese Bilder, die reiner Ausdruck von Empfindungen sein wollten, brauchten mehr als die Kunst der 1920er Jahre eine sprachliche Vermittlung, ja eine Kunstkritik mit individuellen Assoziationen und affektiven Besetzungen. Kunst und Kunstkritik verschmolzen. So wurden die Kritiker mächtig.

Paradoxerweise wurde den “von der Leibeigenschaft der Form” befreiten Bildern durch die Verschriftlichung erneut reale Intentionen unterlegt. Wo die Künstler nach Praktiken suchten, um zur “Immaterialität vorzustoßen” (Rothko), sah Haftmann die Kunst als "Ausdruck der Verwundung der Welt“.  Es sei, formuliert er es in der Eröffnungsrede zur documenta II, „als hätte der Blick auf die Wirklichkeit im Künstler ein erschrecktes Zusammenzucken in der seelischen Region hervorgerufen und ein Gegenbild des Entsetzens aus sich herausgestellt.“ Auch das Arbeiten mit Spachtel, Messer und Klinge sei Ausdruck der Zeit, denn indem die Welt brutaler, grausamer werde, müssten auch die Mittel grausamer werden. Es herrschte ein Tonfall, den Kritiker wie der Kunsthistoriker Schneemann als „suggestives Raunen“ beschreiben.
Gegen diesen Konsensdruck blies eine jüngere Generation von Künstlern neu zu neuerlichem Angriff auf die Wirklichkeit. Die Kunstkritik hatte in der Auseinandersetzung mit Dripping, Informel und Tachismus Begriffe wie „Körperschrift“ oder „authentische Lebensspur“ geprägt. Haftmann hatte die Leinwand als „Tatort des leidenschaftlichen Äußerungswillens" bezeichnet. Zur gleichen Zeit, als Ad Reinhardt mit seinen reinschwarzen „Letzten Bildern“ Ende der 1950er Jahre das Ende der Malerei verkündete, und zur gleichen Zeit auch, als Yves Klein, der auf monochromblauen Bildern Malewitschs blaue Laterne vom Himmel geholt hatte, 1958 das großbürgerliche Pariser Kunstpublikum zur Eröffnung in einen weißleeren Galerieraum einlud, zur gleichen Zeit also machte Yves Klein den Körper selbst zum Pinsel (BILD VON YVES KLEIN) und am Ende seines viel zu kurzen Lebens - die von den abstrakten Expressionisten so lauthals gepriesene autonome Autorschaft des Künstlers befragend - spannte er auf die Kühlerhaube seines 2CVs eine Leinwand, häufte Farbe darauf und fuhr gen Süden, derweil der Fahrtwind seine Farbspur auf dem Bildträger zog, Die Leinwand war zum „Tatort des leidenschaftlichen Äußerungswillens“ der Natur geworden. 
Die Performance-Kunst sorgte dafür, dass alsbald der Galerieraum zum “Tatort des leidenschaftlichen Äußerungswillens” wurde, bevor sich die Kunst bekanntlich dem öffentlichen Raum und der politischen Aktion verschrieb. Auch wenn Yves Klein mehr ein skandalumwitterter Dandy denn ein politischer Künstler  war, wird spürbar, dass es den etwas Jüngeren m Haus der abstrakten Kunst längst viel zu eng geworden war. Die documenta II war Endpunkt, ja: ein großer Schlusschoral dieser Kunstrichtung. Doch die weitere Entwicklung der amerikanischen Kunst beeinfflusste von nun an die neuen künstlerischen Tendenzen in Europa. Amerika war angekommen.

Die Osterweiterung Amerikas
Die Maler der abstrakten Expressionisten aus den USA, allen voran Rothko und Pollock, wurden in Europa als Vertreter des "american way of life" und der "advanced civilisation“ (wie es im documenta-Ausstellungskatalog hieß) dargeboten. Mit ihrer Loslösung, ihrer Befreiung von jeglichem Anklang an Nachahmung und Dingwelt, repräsentierten sie Autonomie der Kunst, Unternehmensgeist und extremen Individualismus: Ein action painting von Jackson Pollock hatte nichts mit einem Flächenbild von Mark Rothko, einer Leinwand von Clifford Still,, Ashley Gorky, William de Kooning oder Helen Frankenthaler gemein. Was Anfang der 1940er Jahre nahe beieinander und unter dem Einfluss der in die USA emigrierten - einstmals europäischen - Moderne begonnen hatte, hatte sich kraftvoll selbstentwickelt. Genau diese Individuen fanden sich Anfang der 1950er Jahre gelabelt als “American Art”, als geheime Staatskunst, eng umstellt von der politisch ideologischen Phraseologie des freien Westens. Pollock, auch der „James Dean“ des Kunstbetriebs genannt, genoss besondere Beachtung; um das amerikanische Klischeebild zu beleben, wurde seine Herkunft betont ( er stammte aus einer Viehzüchterfamilie). Die Werke von „ Mr. Dulles Zwölf Aposteln“ wurden 1947 in kleinerem, ab 1950 in großem Maßstab nach Europa geschifft und sie waren in der hiesigen Kunstszene tatsächlich ein völlig neuer Wind: Belebung, Vorbild und Beleg für die Höherwertigkeit der abstrakten Kunst. Die Werke entsprachen, wie es hieß, der Größe und Freiheit des Herkunftslandes. 

Die britische Literaturwissenschaftlerin Frances Stonor Saunders beschreibt, wie diese Kunst CIA-gesteuert und CIA-gesponsert durch Europa tourte, zumeist unter der Schirmherrschaft von Peggy Guggenheim, dem Museum of Modern Art und der Rockefeller Foundation Sie waren Motor und Mittler. Das Ziel war die Entneutralisierung und Westbindung Nachkriegseuropas. Die Bilder und ihre Künstler reisten nach Paris, Basel, Madrid, Rom, Köln, Hamburg, Finnland und Wien, ja sogar nach Belgrad. Ob die CIA der Nachfrage aus diesen Museen nachhalf, wie es Frances Stonor Saunders unterstellt, ist unbekannt. 
Ab 1950 tourten systematisch und im Zweijahresrhythmus Ausstellungen der Amerikaner durch Europa. 1950 zeigte das Museo Correr in Venedig im Rahmen der "Biennale di Venezia" eine Pollock Ausstellung. 1951 gab es in Berlin und München "New York in Europa" - mit Werken von Pollock, Motherwell, Tobey und Rothko, 1953/54 folgte "Zwölf amerikanische Maler und Bildhauer", 1955/56 schickte das Museum of Modern Art eine Sammlung aus eigenem Besitz auf die Reise zwischen London, Barcelona, Wien und Belgrad mit Zwischenstation in Frankfurt/Main. Auf der Liste standen Jackson Pollock, William de Kooning, Kline, Clifford Still, Mark Rothko. Außerdem gab es „Amerikanische Malerei der Gegenwart“ (1956). Das “MoMa" wurde immer bedeutender. Bereits ab 1952 beauftragte der Staat für den US-Pavillon auf der Biennale von Venedig nicht mehr eine Privatperson, sondern das MoMa mit der Kuratierung Und kein anderer als MoMa-Chef  McCray verantwortete 1959 die überseeischen Beiträge auf der documenta II, ohne dass sein Name genannt wurde. Die CIA gab mittels diverser kultureller Organisationen und Stiftungen Geld für Transporte, Versicherungen, Künstlerreisen und lancierte, wie es Stonor Frances Saunders unterstellt, hier und da auch das öffentliche Feedback. Entsprechend interessiert waren die immer geldknappen europäischen Museen an der Zusammenarbeit.1959, zur Zeit der documenta II, war die „Westbindung“ Europas, anders gesagt: die Osterweiterung Amerikas kulturell und auf dem Kunstmarkt gefestigt. 
Will Grohmann, der auch an der Vorbereitung der documenta beteiligt war, soll, um auf die eingangs erwähnte Anekdote zurückzukommen, 1959, als er die angelieferten Giganten aus Amerika sah, gefragt haben: „Kann es sein, dass wir uns bereits in einem Zustand der Verteidigung befinden?“


Politische und ästhetische Heimatlosigkeit 

Die Kunst der abstrakten Expressionisten passte wie das i-Tüpfelchen in die politische Großwetterlage. Doch an ihrem Anfang steht keineswegs ein Auftrag oder ein politischer Wille irgendeiner politischen Institution - am Anfang steht vielmehr eine politische und ästhetische Heimatlosigkeit. Nach dem Börsencrash von 1929 orientierten sich in den USA der 1930er Jahre die kulturellen Eliten links. Künstler wie Mark Rothko, Jackson Pollock oder Ashley Gursky ebenso wie die Kritiker Clement Greenberg oder Harold Rosenberg etwa sympathisierten offen mit kommunistischen Strömungen. Pollock hatte bei dem mexikanischen Muralisten Siquieiros Kurse besucht, viele der Künstler waren in der staatlich finanzierten Workers Progress Association WPA. Ende der 1930er Jahre drehte sich der Wind. Der Stalinismus geriet unter starken Verdacht, Rothko etwa verließ die WPA, als Russland in Finnland einmarschierte. Zur biographischen Heimatlosigkeit gesellte sich eine ästhetische: Eine Kunstwelt, die traditionellerweise immer auf Europa und vor allem auf Paris geschaut hatte, musste sich 1940, nach dem Einmarsch der Nazis in Paris, wie der Kanadische Kunsthistoriker Serge Guibault überzeugend nachgewiesen hat, plötzlich auf sich selbst besinnen. Auch wenn sich die ästhetische Radikalität der Moderne im Europa Anfang der 30er Jahre erschöpft hatte, belebten die mittlerweile ins amerikanische Exil geretteten Künstler -  etwa André Breton, Max Ernst oder auch Hans Hofmann - dort  eine neue Kunstgeneration. Diese verstand sich als amerikanisch und modern. Sie sahen sich als die Erben der europäischen Moderne und gleichzeitig die Antipoden der barbarischen (realistischen und politisch instrumentalisierten) Nazikunst. 1943 verfassen Mark Rothko, Barnett Newman und Adolph Gottlieb ein Manifest: „Heute steht Amerika vor der Verantwortung, die schöpferische Kapazität der westlichen Welt entweder zu retten und weiterzuentwickeln, oder zunichte zu machen …“ Es gelte, die nationale Chance zu nutzen, dem engen politischen Isolationismus zu entwachsen und kulturelle Werte „auf einer wahrhaft globalen Ebene“ anzunehmen. Mehr noch als für andere dürfte für diese Künstler, die vielfach einen jüdischen Hintergrund hatten, Amerika während des Krieges als Bollwerk der Freiheit dagestanden haben - gegen den bedrohlichen Vormarsch des Faschismus und Stalinismus in Europa. 
So wie die Linke einst den Siegeszug des Kommunismus gewollt hatte, wollten diese Künstler nun den Siegeszug ihrer Malerei. Sie wollten Gehör finden für ihre „Autonomieerklärungen der Farbe“ (Pollock) und für ihren „Heroischen Kampf der Farbflächen um ihr Existenzrecht im Bildraum“ (Rothko). Sie wollten diesen (ihren) Siegeszug aus purer malerischer Überzeugung. Das war ihr Anliegen. Dazu schufen sie sich, da sie um die Notwendigkeit der sprachlichen Vermittlung wussten, in den 1940er Jahren immer neue Programme und Plattformen, die in die Öffentlichkeit hineinwirkten. 
Clement Greenberg, der durch seine unzähligen Essays im linksliberalen (CIA- gestützten) "Partisan Review“ die Lesart dieser neuen Kunstrichtung wie kein anderer prägte, der den Künstlern lebhaftestes Feedback bot und so auch deren Entwicklung mitformte, formulierte 1948: „Wenn man sieht, in welchem Ausmaß sich das Niveau der amerikanischen Kunst in den letzten 5 Jahren verbessert hat, ... dann drängt sich die Schlussfolgerung auf, dass sich nach der industriellen Produktion und der politischen Macht nun auch das Zentrum der westlichen Kunst in die Vereinigten Staaten verlagert“. Diese galt es, so Greenberg, zu exportieren. Dafür war die „Weltsprache Abstraktion“ nützlich. 

Die Befreiung von der Welt der Gegenstände war im Selbstverständnis der Künstler eine ästhetische und politische Äußerung als Kritik an der kapitalistischen Warenwelt. Da „die Gegenstände in der modernen Welt nicht mehr über sich hinausweisen“, so Rothko, müsse man sich auf die „malerische Suche" begeben "nach einem Raum für das Spirituelle in einer Welt der Besitztümer“ (Rothko). Er selbst trachtete danach, „inneres Licht“ auf die Leinwand zu bringen. Ob politische Ideen unbewusst oder bewusst bei der Entstehung der neuen malerischen Positionen mitgewirkt haben, ist unbekannt. Jackson Pollock, so heißt es, habe die Idee zu seinen Dripping Paintings aus einem Gespräch mit Max Ernst (über Autonomie und Automatismus) entwickelt. Ob er mit den Farblinien, die sich ihren Weg über die Leinwand suchten, „Amerika neu entdecken“ wollte (wie es in Kritiken hieß), oder ob die Wochenschau-Bilder der Bombenteppiche auch eine Inspirationsquelle waren, bleibt offen. Mark Rothko hat einmal gesagt, seine Bilder seien der malerische „Kampf“ der Farben, Flächen und Linien um Existenzraum (!).  Rothko zog seine Betrachter vollständig in seinen Bann: „Ich male großformatige Bilder, weil ich einen Zustand der Intimität schaffen möchte. Ein großformatiges Bild bewirkt eine unmittelbare Transaktion, es zieht den Betrachter in sich hinein.“ - Die erste (russische) Avantgarde hatte die Erkenntnis und Produktion neuer Welten gesucht, die zweite - amerikanische - Avantgarde arbeitete an der Entgrenzung des Subjektes und seiner Empfindungen. 

1959, zur Zeit der documenta II, hatte sich die Radikalität der abstrakten Expressionisten längst erschöpft. Die CIA hatte ihr politisches Ziel der Westbindung und der Osterweiterung erreicht, die Großmacht USA hatte “ihre Tintorettos”, das Museum of Modern Art galt fürderhin als Zentrum der Kunstentwicklung des 20. Jahrhunderts. Die Kunstkritik war Teil des Kunstmarktes geworden. Mit den USA musste die Kunst in Europa zukünftig rechnen. Das ist nicht zuletzt das Verdienst der CIA. 

 

Der Ausschuss für Unamerikanische Tätigkeiten

Dass die großen Individualisten Rothko und Pollock, Ad Reinhardt und Barnett Newman sich widerspruchslos derart vereinnahmen, ja „labeln“ ließen, wie man das heute nennen würde, hatte ihren Grund nicht zuletzt in der innenpolitischen Lage. Senator McCarthy erfolgte mit dem Ausschuß für Unamerikanische Aktivitäten unnachgiebig alle Künstler, die einstmals (also in den 1930er Jahren des new deal) Kommunisten gewesen waren. Wer nicht bereit war, „aktiv mitzuarbeiten“, also ehemalige Mitstreiter aktiv denunzierte, dem drohte Publikations- und im Falle der Künster Ausstellungsverbot. Angesichts dieses allgemeinen Klimas der Verdächtigung war es ein Glück, als „advanced american art“ gehandelt zu werden. Amerikanische Aushängeschilder konnten schlecht „unamerikanischer Umtriebe“ beschuldigt werden. Insofern kam die Kunstpolitik von MoMa oder Guggenheim den Künstlern durchaus gelegen. Als 1947 die gerade in Prag eröffnete Ausstellung „Contemporary American Art“ vom US-Kongress zurückgepfiffen wurde, argumentierte ein Kongressabgeordneter, die Kunst dieser ehemaligen Kommunisten sei „not indigenous to our soil“. Fremd- also feindgesteuert eben. 
Doch im gleichen Jahr entstanden Rothkos Farbflächenbilder und Pollocks drippings. Alfred H. Barr, der Gründer und Leiter des MoMA und der bereits genannte McCray verstanden es offensichtlich hervorragend, die eigenen ästhetischen Ideen und die wirtschaftlichen Interessen ihres Hauses mit den Interessen der CIA sowie der Künstler in Einklang zu bringen. Zur Verbreitung der Kunst bedienten sie sich im Zweifelsfall der argumentativen Schemata des Kalten Krieges. Einmal argumentierte Alfred Barr gegenüber dem Herausgeber der Zeitschrift “live”, zur Verteidigung von Pollock: In Russland sei die abstrakte Kunst bekanntlich verboten, ob sich “live” mit seiner Ächtung der Abstrakten da wirklich „auf deren Seite“ schlagen wolle?
 
Die Kunst wurde von diesen politischen Zusammenhängen nicht beschädigt, die Künstler hingegen nahmen Schaden: Fast keiner der Beteiligten starb letztlich eines natürlichen Todes. Am Ende, wenn die Zeit über diese Verwicklungen von Politik und Ästhetik hinweggegangen ist, bleibt die Suche der einzelnen Maler nach einer neuen Antwort auf die alten Fragen der Kunst. 

Die Einbildungskraft der amerikanischen Expressionisten hat neue bildnerische Energien kreiert. In der Kunst, in der abstrakten wie in der figurativen, zählt am Ende das einzelne - geglückte - Werk, das sprachlos eine Nachricht, ein Ereignis, eine Empfindung weiter trägt, von dem, der sie niederlegte, zu dem Betrachter, der sie – auf je seine Weise - aufheben kann. In diesem Akt ist, wie wir gesehen haben, immer auch, um es mit Jacques Rancière zu sagen, die mal mehr, mal weniger invasive Gemengelage des öffentlichen, ja politischen Raumes gegenwärtig. 

Marie Luise Knott