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Marie Luise Knott

„Zu Mona Hatoum ‘ The Light at the End, 1989’”,  in Verführung Freiheit. Kunst in Europa seit 1945, 2012. Europaratsausstellung, hg. von Monika Flacke, DHM 2012 (Digitaler Katalog)

Herausgeber: Monika Flacke für das Deutsche Historische Museum, Berlin
352 Seiten, 306 farbige Abb., 28 x 21 cm, Flexcover, Erschienen 17.10.2012, ISBN 978-3-942422-90-1

 

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Als die Installation ›Das Licht am Ende‹ der palästinensischen Künstlerin Mona Hatoum 1989 in London erstmals gezeigt wurde, provozierte das Werk der damals 37-jährigen, 1952 in Beirut geborenen Künstlerin einen Schock. Der Besucher betritt durch eine schmale Türöffnung einen langen, dunklen, sich nach hinten verjüngenden Korridor – angezogen von einem gleißendhellen Licht, genauer: von fünf grellorange leuchtenden Stäben, die im hinteren Teil des Raumes senkrecht in ein schwarzes quadratisches Eisengitter hineinmontiert sind. Das Gestell ist rechts und links in den beiden Seitenmauern fest verankert. Seitenwände und Boden sind dunkelrotbraun ausgemalt, eine an der Decke exakt über dem Gitter angebrachte Lampe sorgt mit ihrem Schein zusätzlich für visuelle Attraktion. Sie wirft kegelförmiges Licht auf die beiden Seitenwände und vermittelt dem Besucher die Illusion, er befinde sich in einem dunklen Gewölbegang, der am Ende einen Ausweg hat. Tatsächlich laufen die Seitenwände kurz hinter dem Gestell im spitzen Winkel aufeinander zu. 

Das Werk ›Das Licht am Ende‹ ist mit seinem mindestens drei Meter hohen und neun Meter langen, geschlossen wirkenden Raum als »totale Installation« (Ilya Kabakov) angelegt. Beim Betreten des Raumes verliert der Betrachter den visuellen Kontakt zur Außenwelt. Die Installation umgibt ihn, vollständig. Wo der Besucher einer Ausstellung normalerweise seine Aufmerksamkeit einem Objekt zuwenden und sich auch wieder davon abwenden kann, wird er von der totalen Installation »gesteuert und in gewissem Sinne zu ihrem ›Opfer‹ «. Derart herausgelöst aus seiner Wirklichkeit, wird er in der von der Installation geschaffenen Wirklichkeit von dem zentralperspektivisch installierten Licht in Bann gehalten, seine Eindrücke und Empfindungen verstärken sich, er wird zum »Täter« (Kabakov), insofern er eigene Fantasien wachruft. Die Grenze zwischen Fiktion und Realität löst sich auf.

Gezielt und grausam unterminiert Hatoum in dieser Arbeit die Erwartung des Betrachters, der durch den Titel ›Das Licht am Ende‹ zunächst ein »Licht am Ende des Tunnels« assoziiert und sich ganz auf das Licht, den vermeintlichen Ausgang aus der Dunkelheit dieses Daseins zubewegt. Denn tatsächlich leuchten dort Heizstäbe. Der vermeintliche Weg ins Licht ist also kein Weg in irgendeine wie auch immer geartete Freiheit; je mehr der Betrachter sich dem Licht nähert, desto drückend heißer wird es. Eine Lebensgefahr geht von ihm aus. Der Weg ins Licht erweist sich als Weg in den Tod. Gitter und Stäbe stehen unter Strom und rufen dem Betrachter Bilder des Grauens und der Folter wach. Man spürt, was man eigentlich weiß – dass nämlich trotz aller Menschenrechts-Deklarationen Folter, Schmerz, Pein und Horror in unseren Gesellschaften nicht gebannt sind. 

Neben dem Bildreservoir des Schreckens schöpft das Werk aus dem Bildreservoir der Kunst: Die rotbraune Farbigkeit der Bögen und auch das Helldunkel-Spiel erinnern an Bilder des Caravaggisten Georges de La Tour (1593–1652); bei dem schwarzen Rahmen kommt einem Kasimir Malewitschs schwarzes Quadrat in den Sinn, und die zentralperspektivisch installierten parallelen Streifen scheinen der Welt eines Lucio Fontana entliehen. Doch Hatoums Kunst evoziert dem Betrachter nichts Erhabenes, sondern enthüllt unmittelbar die grausame Seite des Daseins, die im Alltag so sehr zur Gewohnheit geworden ist, dass man Gefahr läuft, sie nicht mehr wahrzunehmen. Bei aller ästhetischer Prägnanz ist die Schönheit von »Das Licht am Ende« mörderisch. Diese Gewalt ist obszön. 

Mona Hatoum begann als Performance-Künstlerin. In den 1980er Jahren gab sie die unmittelbare körperliche Handlung auf und implantierte die »Performance« ins Kunstwerk. Seither lädt sie in ihren Arbeiten einfache Objekte mit physischen Sensationen auf oder schließt sie mit möglichen Schreckensmomenten aus den Bild- und Erinnerungswelten der Besucher kurz. Viele ihrer Kunstwerke stehen, ebenso wie die politische Wirklichkeit im Nahen Osten, unter Hochspannung, real ebenso wie im übertragenen Sinne. Der Betrachter erlebt seine eigene Verletzbarkeit. In einer achtseitigen Bauanleitung hat Hatoum bis ins Detail den Aufbau von ›Das Licht am Ende‹ festgelegt – sowohl die exakte Bezeichnung der Seidenmatt-Wandfarbe (Firma Dulux Trade), das Fabrikat der fünf Heizstäbe (1350 Watt), die Länge des Ganges und die Mindesthöhe der Wände, aber auch den Aufbau einer Absperrung und die Errichtung des temporären Drahtzaunes. Er soll verhindern, dass jemand sich im Dunkeln auf das Gitter zubewegt, wenn, um eine Überhitzung zu vermeiden, die Heizstäbe der Installation stündlich zehn Minuten lang abgeschaltet werden, während Titel und Deckenlicht den Betrachter weiterhin anlocken. Der Betrachter als der von der Künstlerin auserkorene Performer (Opfer und Täter) erfährt am eigenen Leibe: Je gefährlicher die Lage, desto lebensnotwendiger ein festes Reglement. Für ihn gibt es Schutzmaßnahmen – in der angenommenen Realität der Installation hingegen nicht.

Das Lob des palästinensischen Autors und postkolonialen Okzidentalismus-Theoretikers Edward Said, dass Mona Hatoum – mehr als alle anderen Künstler seiner Heimat – in ihren Werken die Lage der Palästinenser zum Ausdruck bringe, hat die Künstlerin vielfach von sich gewiesen. Ihre Kunst sei universell, argumentiert sie zu Recht. Dennoch kann man ihre Kunst unmittelbar im palästinensischen Kontext deuten – sowohl die wandernden Alltagsgegenstände an der Wäscheleine (»Mobile Home«), als auch die Wohnung, die unter Strom steht (»Homebound«), oder die Koffer, aus denen die Haarpracht herausquillt (»Traffic«). 
Tunnel, wie sie in ›Licht am Ende‹ mitassoziiert werden, gibt es zahllose in Geschichte und Wirklichkeit der Palästinenser, im Libanon wie in Gaza. Doch das Kunstwerk kann man auf derart politische Lesarten nicht reduzieren. Hatoum hat recht, auf der Universalität ihrer Bildsprache zu beharren, und sie weist mit der universellen Metapher vom »Licht am Ende« darauf hin, dass die Begegnung mit ihrer Kunst auch ein Denkereignis ist. Während im Alten Testament das Licht als die Herrlichkeit Gottes erschien, der durch sein Wort alles zu erleuchten vermochte und den Menschen den Weg wies, wurde in der Aufklärung (Enlightenment) die Ratio an die Stelle Gottes gesetzt. Das Licht des Verstandes, John Lockes Diktum »Reason must be our last judge and guide in everything« also, sollte den finsteren Zeiten von Elend, Ohnmacht, Glaubensdiktat und Fremdherrschaft ein Ende setzen. Hatoum nun inszeniert mit ›Das Licht am Ende‹ großartig, präzise und schrecklich schön, dass die Idee vom Austritt des Menschen aus seiner von wem auch immer verschuldeten Unmündigkeit in unseren Zeiten eine Blendung besonderer Art hervorgebracht hat: »... die vollständig aufgeklärte Erde strahlt im Zeichen triumphalen Unheils«, formulierten Adorno und Horkheimer 1947 diesen Tatbestand. Hatoum hat eine der ältesten Menschheitsvorstellungen in Szene gesetzt und in ihr Gegenteil verkehrt, nämlich jene, der zufolge Licht eine Verheißung sei. Hatoums Weg ins Licht fragt nicht nach existierenden Wirklichkeiten, nicht danach, was die Verfolgung des Lichtes sich und den anderen zufügt. Die Idee, sich voll und ganz der »richtigen Sache« zu verschreiben, erweist sich als totale Installation, die im zwanzigsten Jahrhundert totalitäre und fundamentalistische Ungeheuer gebar.