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MARIE LUISE KNOTT

Die Welt im Kopf

in Verführung Freiheit. Kunst in Europa seit 1945. Europaratsausstellung, hg. von Monika Flacke, DHM 2012

Herausgeber: Monika Flacke für das Deutsche Historische Museum, Berlin

352 Seiten, 306 farbige Abb., 28 x 21 cm, Flexcover, Erschienen 17.10.2012, ISBN 978-3-942422-90-1

 

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Welt im Kopf
Statt einer Einleitung

„Ich lebe in der Möglichkeit Ihr Haus ist im Vergleich Viel schöner, tür- und fensterreich, als die Alltäglichkeit.“ Emily Dickinson


Die Schwelle. Tag für Tag bewältigen wir unser Dasein. Die reale Welt okkupiert uns: Wir essen, kochen, kaufen ein, wir arbeiten, verhandeln dies, entscheiden jenes. Doch es gibt noch eine andere Welt jenseits des rein Vorhandenen, eine Welt, die sich dem täglichen Getriebe entrückt und es so durchdringt: die Welt der Vorstellungen und der Sinneseindrücke, die Welt der Anschauungen und der Begriffe, das Reich der Phantasie, das sich auftut, wenn wir unseren Geist „auf uns selber richten“, wie die Introspektion bei Platon heisst. Parlierend liegen im „Gastmahl“ die Herren im Hause des Agathon bei Tische, doch der geladene Sokrates zieht es vor, sich auf die Schwelle eines Nachbarhauses  zu begeben, um in Ruhe denken zu können.  Als er schließlich den Raum des Gastmahls betritt, ruft ihn Agathon, so Platon, zu sich heran: „Hierher, o Sokrates, nimm hier neben mir Platz, damit auch ich von dem weisen Gedanken einen Teil bekomme, welcher sich in der Haustüre bei dir eingestellt hat! Denn offenbar fandest du ihn und hältst ihn nun fest; denn eher würdest du gewiß nicht abgelassen haben.“  Darauf soll Sokrates sich neben ihm gelagert und folgendes geantwortet haben: „Das wäre eine schöne Sache, lieber Agathon, wenn es mit der Weisheit eine solche Bewandtnis hätte, daß sie aus dem Volleren von uns in den Leereren hinüberflösse, wenn wir mit einander in Berührung kommen, gleichwie das Wasser durch einen Wollenstreifen aus dem volleren Becher in den leereren hinüberfließt.“

Das Denken ist eine einsame Sache. Sein Ort: die Tür oder die Schwelle. Bis heute ist die Schwelle eine Metapher für den Aufenthaltsort des Denkens, denn dort, wo eine vorhandene Gewissheit verlassen wird, kann sich Unerwartetes ereignen, weshalb – um noch einmal zu springen – Paul Valéry die Schwelle (seuil) als den Ort des Plötzlichen, des Kontrollverlustes und vor allem des künstlerischen Einfalls beschrieb.  

"Ich entsinne mich noch des Schauers, den mir in der Knabenzeit das Wort Durchgang einflößte. In den Büchern, die ich damals verschlang, war der dunkle Durchgang gewöhnlich die Stätte mörderischer Überfälle, von denen hinterher eine Blutlache zeugte, oder doch zum mindesten die passende Umwelt zweifelhafter Existenzen, die darin beisammen standen und ihre düsteren Pläne berieten."  Schrieb Siegfried Kracauer. 
Derart zweifelhafte Existenzen, der Einbildungskraft  im Wach oder Traumzustand entwachsen, bevölkern die Kunst. „Schön, wie die zufällige Begegnung einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch“, wie Max Ernst das beschrieb.

Die Welt im Kopf kann sich den Zwängen des Alltags entziehen, sich einen „anderen Ort“ erschaffen und Nicht-Gegenwärtiges repräsentieren. Die Gedanken sind tatsächlich frei.   „I imagine the mind as a big house“, formulierte es der Schriftsteller John Burnside. Ein Haus, mit großen leeren Zimmern, die sich mit Gedanken, Bildern und Begriffen füllen können. An diesem „tür- und fensterreichen“ (Dickinson) Ort, wo Innenwelt und Aussenwelt in lebendigem Austausch stehen, bewegen wir, was uns beunruhigt oder besorgt, was wir uns nicht erklären können. An diesem Ort suchen wir nach neuen Gedanken , um „die gebrechliche Einrichtung der Welt“ (Kleist) ein wenig haltbarer zu machen, durch Begriffe, Bilder und Metaphern und durch Ideen, die, wenn sie unseren Kopf verlassen haben, Wort, Schrift Kunstwerk oder Klang geworden sind, in der Welt ein Eigenleben führen. Welt geworden entwickeln sie sich weiter, denn sie sind im emphatischen Sinne Allgemeingut. Jedes Denk- und Kunstwerk ist nicht nur Anstiftung, sondern auch Übereignung. 

 

Die Möglichkeitswelt. Es war der österreichische Schriftsteller Robert Musil, der in seinem Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“ dem Wirklichkeitssinn den „Möglichkeitssinn“ gegenüberstellte. Musils Erzähler fragte sich und seine Leser: Was, wenn diejenigen, denen es an Wirklichkeitssinn fehlt, gar nicht so dumm dran sind, wie man glaubt? Was, wenn die Abwesenheit des Wirklichkeitssinns tatsächlich eine Stärke wäre? Sein Mann ohne Eigenschaften war ein Mann ohne Wirklichkeitssinn, also einer, der seinen Phantasien freien Lauf ließ, aber verstörenderweise keinerlei Interesse daran entwickelte, dass die von ihm erdachten Möglichkeiten Wirklichkeit werden. Musils „Möglichkeitsmensch“ mit seinem (Wirklichkeits-)Sinn für alles Mögliche ahnte noch nichts von den möglichen und tatsächlichen Verheerungen des 20. Jahrhunderts, als er sich - in der Nachfolge Kafkas - weigerte, die „Weltgeburten“, also das je Vorhandene -  wichtiger zu nehmen als die Kopfgeburten. „Schließlich“ so Musil lapidar, „ist die Erde gar nicht alt und war scheinbar noch nie so recht in gesegneten Umständen“. War die Welt tatsächlich noch nie so guter Hoffnung wie zu Zeiten von Musils Avantgarde des Industriezeitalters? 

Immanuel Kant, der Theoretiker der Einbildungskraft, unterschied hinsichtlich der Möglichkeitswelt zwischen der Anschauung, die, wie er meinte, immer sinnlich sei, und dem Verstand, jenem Vermögen, den Gegenstand der sinnlichen Anschauung zu denken. „Keine dieser Eigenschaften ist der anderen vorzuziehen“, konstatierte er, denn: „Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind.“ Denken und Sinnen, Kopfgeburten und Kopfgewitter wenn man so will, kennen und dulden die Grenzen des Realen nicht. Im Gespräch mit sich selbst und im gedanklichen Austausch mit anderen schöpft der Einzelne die Kraft, sich der Wirklichkeit zu stellen, und nicht länger von ihr determiniert zu werden. Früher glaubten die Menschen, immer von einem Gott gesehen zu sein. Heute ist jeder zunächst für sich allein, und seine Welt im Kopf ist ein Ort, den kein irdisches und kein überirdisches Wesen je zu Gesicht (????)  bekommt; erst dort, wo die Welt im Kopf sich verdinglicht, also in Form einer Rede, eines Textes oder eines Werkes nach außen tritt, können Begegnungen stattfinden, denn philosophische wie künstlerische Werke sind materialisierte, also Welt gewordene Gespinste; die Titel der Werke stellen tatsächlich immer wieder die Schwellen bereit, über die hinweg der Leser, der Betrachter, der Hörer eingeladen wird, die Welt im Kopf des Künstlers zu betreten und sich mit ihr auszutauschen. 
Indem wir Menschen das Ersonnene in die Tat umsetzen, also das Mögliche verwirklichen, unterbrechen wir den (Selbst)Lauf von Natur und Geschichte; der Mensch ist ein Dazwischentretender, einer, der die Fähigkeit hat, etwas im Hinterkopf zu haben, sich einen Kopf zu machen, die Fantasie schweifen zu lassen, sich in die Zukunft zu entwerfen und Vergangenes zu erinnern  – auch wenn wir wissen, dass jede Erinnerung trügerisch und die Vergangenheit immer ein Konstrukt ist. 

Mit dem „Segen“ des Möglichkeitssinns, fiktive Räume frei betreten und dort fiktive Welten frei entwerfen zu können, rückten auch die Gefahren dieser Freiheit deutlich in den Blick. Für die avantgardistischeren unter Musils Zeitgenossen hatte die Kunst endlich ganz sich selbst zum Inhalt. Das Leben galt ihnen als eine „Maske“,  so formulierte es Malewitsch.  Jede Hinwendung zum Wirklichen, zum Gegenständlichen und Gesellschaftlichen also, stand ihm unter dem Verdacht, eine Erniedrigung der Kunst zu sein.  Eine derartige Verleugnung der Wirklichkeit birgt dort, wo sie die Welt der Kunst verlässt und ins reale Leben eingeht, viele Gefahren: die Ideen können sich in Rationalisierungen verlieren, in Illusionswelten verirren oder sich heillos in dem Wahn fremdgesteuerter – totalitärer -  Bilder und Ideologien verstricken. Derart der Wirklichkeit entfremdet, sind die Vorstellungen vor dem Überhandnehmen von Trugschlüssen und Trugbildern nicht gefeit. Auch wenn man weiß, dass Ideen nicht töten können, denkt man unweigerlich daran, dass in der Sowjetunion aus der radikal guten Vorstellung, die Menschheit von ihren Ketten zu befreien, das Universum des Gulag geschaffen wurde. Die Gefahr, dass Ideologien über Realitäten siegen und den Menschen, dieses phantasiebegabte Wesen, zu einem Reaktionsbündel degradieren, diese totalitäre Gewalt hat das 20. Jahrhundert geprägt. 


Etwas anderes als Gesellschaft und Staat. Max Frisch erzählt in seiner Poetikvorlesung „Schwarzes Quadrat“ die Geschichte von einem Schweizer Ambassador, der zu Sowjetzeiten  in St. Petersburg nach erfolgreichem Abschluss seiner Handelsverträge die Eremitage besucht und dort die „versteckte“ Kunst zu sehen bekommt. Aus dem Keller holt man ihm die Kunst der Avantgarde hoch. Doch das Schwarze Quadrat ist nicht darunter. Als die Dame aus dem Museum es  auf sein Drängen hin doch holen lässt,  begeistert er sich, man solle das Quadrat ruhig neben die Gemälde des Sozialistischen Realismus hängen, auf denen „das sowjetische Volk sich bei der Arbeit für die Gesellschaft“ erkenne. Zu der Dame aus dem Museum sagt er darauf: „Sie brauchen doch Malewitsch nicht im Keller zu verstecken, das Volk würde ihn gar nicht ansehen!“ Doch die Dame lacht offensichtlich nur, und Frisch zitiert sie mit den Worten: „Sie irren sich – das Volk würde vielleicht nicht verstehen, wozu dieses schwarze Quadrat, aber es würde sehen, dass es noch etwas anderes gibt als die Gesellschaft und den Staat.“
In der Sowjetunion, wo Ideologie und Terror des Staates alle individuellen Phantasien zu beherrschen versuchten, gelang es den Künstlern nur unter Aufwendung enormer Kraft, sich der aufgezwungenen Ikonographie zu entziehen und der als total inszenierten Wirklichkeit einen (anderen) Möglichkeitsraum abzutrotzen: Durch Ironie und Verfremdung eingängiger Bilder und Ikonen setzten sie den Allmachtsphantasien von Gesellschaft und Staat Grenzen und eroberte so neue Räume der Freiheit. Kunstwerke bewirken zwar nichts unmittelbar, doch sie unterbrechen und stören - wie das Wunder - die natürliche Weltordnung und halten so die Idee am Leben, dass die Welt immer neu auszuhandeln ist. 
Je mehr die Menschen drohen, von der Wirklichkeit überwältigt zu werden, desto mehr brauchen sie Kunst und Philosophie, um in dieser Welt noch heimisch zu sein. Die in den 1960er Jahren aufkommende Performance-Kunst mitsamt Happening und Fluxus war ein solcher Versuch des Neu-Heimisch-Werdens in der Welt und eine künstlerische Antwort auf den Konsumismus sowie auf die Bedrohung von Freiheit und Pluralität in der Massengesellschaft. Es ging um nichts weniger als darum, sich das eigene Leben zurükzuerobern. Sich neu zu verkörpern. Gegen den erstickenden Leerlauf der Kunst und des Kunstmarktes – egal, ob abstrakt oder figurativ – eroberten cross-over-Künstler wie Joseph Beuys oder John Cage den öffentlichen Kunstraum zurück. Yves Klein holte die Körper von der Leinwand in den Galerieraum hinab, erfand die lebenden Pinsel und lud mit seinen Anthropometrien den Betrachter dazu ein, sein eigenes Maß in der Welt und an der Welt zu nehmen und seinen eigenen Abdruck in der Welt zu hinterlassen. Karnevalesk wurden in der Kunstproduktion alle Gewohnheiten umgestürzt, die Konstruktion von Sinn, Logik und Fortschritt wurde ausgesetzt, Klang, Wort und Bild belebten sich gegenseitig im Happening, die Kunstwerke wucherten im Nebeneinander und die Zuschauer wurden zur Mittäterschaft und zum Probehandeln animiert. 
Und dennoch: Die Kunst vermag gerade dort, wo sie explizit politisch wird, am wenigsten. In den „tür- und fensterreichen“ Räumen unserer Möglichkeitswelt sehen wir mehr und anders als das, was wir sehen. Die Welt im Kopf macht Gleiches ungleich, holt wie Yves Klein das Blau des Himmels auf die Leinwand, und sie weiß wie Alberto Giacometti, dass die Freiheit des Käfigs der Gesetze bedarf, um erscheinen zu können. Aber sie weiß auch: Jede Verwirklichung der Hoffnungen und Träume im Kunstwerk bedeutet, dass andere Hoffnungen und Ideen, also Räume aufgegeben werden. Jede Verwirklichung ist auch ein Verlust. So kommt es, sagt Henri Bergson, „daß der Hoffnung ein größerer Reiz beiwohnt als dem Besitz, der Traum anziehender ist als die Wirklichkeit. 

 

Wessen Kopf eigentlich? Wir erfinden das Rad nicht jeden Tag neu. Die Bilder, die wir uns von der Welt machen, um zu verstehen, was wir nicht verstehen können, die Begriffe, mit denen wir uns einen Halt in der Welt spinnen, sie sind nicht auf unserem alleinigen Mist gewachsen. Niemand ist der erste Mensch. Was dies für die Malerei bedeutet, hat der französische Philosoph Gilles Deleuze so beschrieben: Die Leinwand, vor die ein Künstler tritt, ist niemals weiß, sie ist immer voller vorgefundener Bilder, die man erst einmal fortwischen muss. Im Alltag leben wir mit diesen vorgefundenen Bildern, sonst könnten wir gar nicht weitermachen, wenn wir jede Entscheidung, jede Lesart, jede Wahrnehmung oder Erfahrung und jeden Begriff, den wir uns von der Welt machen, jedes Mal neu bedenken und erfinden oder ertasten müßten.
Die Welt im Kopf gleicht einem Palimpsest, in das wir uns einschreiben. Unser Denken und Sinnen speist sich aus vorgefundenen Gedanken- und Bildwelten, und es hat gleichzeitig Teil am Entstehen neuer kollektiver Vorstellungen. Unser Denken und Sinnen ist reproduktiv und assoziativ. Es schöpft nicht nur aus dem Vorhandenen, sondern aus Vergangenheit, Gegenwart und aus den Entwürfen, die wir uns von der Zukunft machen, und es variiert diese. Man kann nicht immer alles neu bedenken und in Frage stellen. „Klischees, gängige Redensarten, konventionelle standardisierte Ausdrucks- und Verhaltensweisen haben die gesellschaftlich anerkannte Funktion, gegen die Wirklichkeit abzuschirmen, gegen den Anspruch, den alle Ereignisse und Tatsachen kraft ihres Bestehens an unsere denkende Zuwendung stellen. Wollte man diesen Anspruch ständig erfüllen, so wäre man bald erschöpft.“ Die Abwesenheit des Denkens ist also eine „durchaus normale Erfahrung im Alltagsleben, wo wir kaum die Zeit, geschweige denn die Neigung haben“, andauernd innezuhalten und alles neu nachzudenken, wie es die Theoretikerin des Politischen, Hannah Arendt, ausdrückte. Gleichwohl gibt es den Moment, in dem die vorhandenen Welt- und Denkbilder keinen Halt mehr geben. Wo etwas nicht aufgeht, heftet sich die eigene Vorstellung an. Sich auszudrücken ist schließlich ein paradoxes Unterfangen, denn jeder Ausdruck basiert auf bereits existierenden Ausdrücken und gleichzeitig hebt der eigene Ausdruck sich ab, schafft sich sein eigenes Bild, seinen eigenen Begriff, und weckt gerade so, in seiner Andersartigkeit, unsere Aufmerksamkeit. 
Kunst ist kein Selbstausdruck, und jede Wirklichkeit ist ein Konstrukt. Wir wissen, dass es das Genie allein ebenso wenig gibt wie das autonome Kunstwerk, dass vielmehr in jedem Werk immer auch ein „es“ mitspricht – dass sich also viele Stimmen und Bilder aus Vergangenheit und Gegenwart und vielleicht noch aus anderen Dimensionen und Möglichkeitsräumen auf der inneren Leinwand des Denkers oder Künstlers tummeln. Hinzu kommt, dass jedes Lesen, Hören und Sehen eines Kunstwerkes eine Begegnung ist. Die Welt im Kopf des Betrachters stößt auf die Welt des Künstlers; mit jedem neuen Lesen, Hören oder Betrachten eines Werkes tut sich jedes Mal eine neue Welt auf. Freude schöner Götterfunken! Eine Ausgelassenheit kann sich einstellen. Das Nachleben einer Idee oder eines Bildes kann beginnen. Zeit und Raum – biographischer, historischer und räumlicher Kontext - beeinflussen nicht nur die Herstellung der Werke, sondern beeinflussen und verändern auch die Wahrnehmung jedes Werkes. Mit jedem Verstehen fange die Welt blitzartig neu an, beschrieb der Dichter René Char den Götterfunken und dessen „Seid umschlungen Millionen!“. Denken und Sinnen stößt auf etwas, stößt sich an etwas, und hat bestenfalls die Kraft, in jedem zukünftigen Hörer, Leser oder Betrachter seinerseits etwas auf- und anzustoßen, ihn in neuen Möglichkeitsräumen zu empfangen. 
Entgegen allem Gerede von der Universalität und Uniformität der Bilder im Zeitalter der Globalisierung bevölkern sich die Räume der Phantasie auch heute aus konkreten Sinnen und Eindrücken einer spezifischen Wirklichkeit. Noch in der universellen Bildsprache der Eisen-Skulpturen Chillidas hallen die Schläge aus der baskischen Schmiede wider, und auch in vielen Portraitserie  werden wir auf die Grundfragen unserer kleinen Existenz verwiesen: Wer ist der Einzelne, welches Gewicht hat er in der Welt, welches kann er sich nehmen und welches kann ich ihm geben? Im endlosesten Seriellen wie im kleinsten Detail erkennen wir unsere Fragen ans Dasein und Sosein, denn sinnvolle Gemeinsamkeit, so John Burnside, erwächst nicht daraus, dass wir uns alle von dem breiten Strom der Geschichtsschreibung, in den wir hineingeboren sind, mitreißen lassen. Nein, sinnvolle Gemeinsamkeit erwächst aus der Verknüpfung der individuellen Bilder-Welten.  Das Individuum ist eine Illusion, die man immer neu erschaffen muss, denn erst dort, in der Pluralität der Vorstellungen, realisiert sich Freiheit, die große Verführerin.