BLÜTENLESEN
Tagtigall vom 25.08.2022FUNDSTÜCKE
Tagtigall vom 02.08.2022WAS FÜR NE WELT
Tagtigall vom 13.05.2022UKRAINISCHE KLOPFZEICHEN
Tagtigall vom 06.03.2022GLEICHRANGIG MIT DEM UNGESAGTEN
Tagtigall vom 21.12.2021WER BRAUCHT SCHON GEMÄLDE
Tagtigall vom 18.11.2021VOM GLÜCK DER KINDHEIT
Tagtigall vom 14.09.2021WIR ATTRAKTIONEN
Tagtigall vom 14.04.2021EIN NEUES LIED, EIN BESSRES LIED
Tagtigall vom 30.03.2021DIE FREIHEIT DER EINZELNEN
Tagtigall vom 12.01.2021VOM LODERN DES LEBENS
Tagtigall vom 18.12.2020MIT HÖHLEN UND ZICKZACKNÄHTEN
Tagtigall vom 11.11.2020VOM ZERNUEN
Tagtigall vom 15.09.2020HIER DRIBBELT DIE FAKTIZITÄT
Tagtigall vom 03.07.2020EINE REISE ZU DEN SCHIEFERINSELN
Tagtigall vom 02.04.2020NUR DIE ZUTATEN TRAUER UND WUT
Tagtigall vom 11.03.2020ES LICHTET! FÜR FRIEDERIKE MAYRÖCKER
Tagtigall vom 20.12.2019WILDPARK-HORSCHPARK-EINSIEDELEI
Tagtigall vom 18.11.2019KOMMT INS FREIE, IHR HASENHERZEN!
Tagtigall vom 07.10.2019DER TRAUM VON SINGENDEN STRAND
Tagtigall vom 20.06.2019BLAU VOR PARADIES
Tagtigall vom 14.05.2019NACHRICHTEN AUS HUNGERLAND
Tagtigall vom 18.03.2019ALS ICH ANFING ZU SCHREIBEN
Tagtigall vom 27.02.2019ES TOBTE 1 SCHATTEN AM FENSTER VORÜBER
Tagtigall vom 14.12.2018DIE LOSE WELT
Tagtigall vom 24.11.2018DAS LAND WO DIE ORANGEN BLÜHN
Tagtigall vom 12.09.2018DIE ZEIT DER ZITATE IST ZURÜCK
Tagtigall vom 30.07.2018WENN MEERE BRECHEN UND KOMETEN GLÜHEN
Tagtigall vom 12.07.2018DIE SAMEN, NICHT DIE ZWEIGE DER DICHTUNG
Tagtigall vom 27.04.2018TEE MIT SONNE
Tagtigall vom 21.03. 2018DER STEIN DER ZUKUNFT
Tagtigall vom 07.02.2018FAGISSESS
Tagtigall vom 13.12.2017DO FRAIG AMORS ADJUVA ME
Tagtigall vom 17.10.2017VON BÜLTEN UND PALSEN GEDRUPFT
Tagtigall vom 01.09.2017BÜRGER – WO IST GRIECHENLAND?
Tagtigall vom 30.06.2017IM WORT- UND BILDGETÜMMEL
Tagtigall vom 18.05.2017ICH KÜSSE DICH SCHÖN
Tagtigall vom 01.02.2017SONNTAGSMITTAGSGLIBBERPUDDINGGRÜN
Tagtigall vom 10.12.2016STICHT UND STANZT
Tagtigall vom 31.10.2016SIND AUCH DIE DA, DIE NICHT DA SIND?
Tagtigall vom 22.09.2016VOM SCHWIMMEN IN SEEN UND FLÜSSEN
Tagtigall vom 11.07.2016SCHWARZE SCHMETTERLINGE
Tagtigall vom 03.06.2016SEHEN WAS NICHT VORGESEHEN
Tagtigall vom 19.04.2016RAUSCHWARZ, RAKUSCHWARZ
Tagtigall vom 07.03.2016SANDALEN BEI SZALANSKI
Tagtigall vom 01.02.2016ERKENNTNISHUNGER UND SCHÖNHEITSDURST
Tagtigall vom 17.12.2015ROTE MILCH
Tagtigall vom 12.11.2015DER UNERHÖRTE ANFANG
Tagtigall vom 07.10.2015AUFFLIEGENDE KRANICHE
Tagtigall vom 07.09.2015DON'T MIND THE GAP
Tagtigall vom 02.06.2015AUF DER SUCHE NACH FRANKREICH ODER EINEM WURM
Tagtigall vom 3. 8. 2015LÜCKEN UND LEEREN
Tagtigall vom 18.02.2015DIE RAUBTIERE WERDEN IMMER SCHNELLER
Tagtigall vom 20.01.2015DIE ALLEE DER DEUTUNG
Tagtigall vom 12.12.2014ÜBER EIGENART
Tagtigall vom 21.11.2014DU RICHTEST DEN KOPF HOCH
Tagtigall vom 27.10.14JEDES WORT EIN DIVERSANT
Tagtigall vom 08.09.2014HÖRNERSCHWUNG
Tagtigall vom 12.07.2014ALLTÄGLICHE ABWESENHEIT
Tagtigall vom 10.06.2014INS AUSGESPARTE HINEIN
Tagtigall vom 14.05.2014EIN WINKEN DENKEN / AN DER GRENZE ZUR WUT
Tagtigall vom 31.03.2014UND EIN VOLLES GLAS AUF DEM SCHRANK BEOBACHTET UNS
Tagtigall vom 25.03.2014ZWISCHEN SCHWEIGEN UND SCHREIBEN
Tagtigall vom 26.02.2014DIE GEHEIMEN GESETZGEBER DER WELT
Tagtigall vom 27.01.2014NUR EIN STÜCK DER PRANKE
Tagtigall vom 19.12.2013
Marie Luise Knott
Sonntagsmittagsglibberpuddinggrün
Link zur Tagtigall im Perlentaucher
10.12.2016. Im "Abendlied" besang Matthias Claudius einst die weltabgewandte Seite des Mondes. Noch heute bevölkert viel Nichtgesehenes jedes gute Gedicht. Das macht die Gattung attraktiv, nicht nur zu Christkinds-Zeiten. Neue Gedichtbände kurz vorgestellt
Vom wiehernden Ross der Freiheit
Beim Gedichte schreiben könne man sich mit den Worten streiten, und das habe sie gerne, erzählt die berühmte niederländische Dichterin Anneke Brassinga. Klang ruft bei ihr Klang hervor, bis sich ein Gedanke einstellt. Wie aber übersetzt man solch einen Klang, der im Deutschen vielleicht einen ganz anderen Sinn stiftet? Hier ein von Oswald Egger übersetztes Beispiel aus Brassingas Band "Fata Morgana, dürste nach mir", der soeben erschienen ist:
"Spelle um Spelle hörten wir fallen / stundenlang, diese Aufdunstungen aus Dämpfen / die uns eindämmst, du, ein zu dumpfstutziges Azur / wo heißglut duselige bibberige Gelier- oder Glas-Windhunde an kabbeligen Drähten überhetzt / rumdumgeschlenzte Kaninchenfelle jagen aus Luft."
Welch überbordende Bildhaftigkeit. Angefangen hatte Anneke Brassinga mit Übersetzungen. Hermann Brochs Epos "Der Tod des Vergil" zum Beispiel rief bei ihr einen Überschuss verbaler Energie hervor. So begann sie, sich selbst zu übersetzen, den ganzen Ozean von Bildern - eigenen und fremden - in Poesie zu fassen. Der nun in der Reihe "Spurensicherung" erschienene erste deutschsprachige Auswahlband entführt in die Wort- und Denkgefechte dieser Sprachmagikerin, die sich seit Jahrzehnten dem "klopfenden Herzen" ihrer Sprache verschrieben hat. Ihre Kunst, im Schreiben ganz hier und jetzt das "wiehernde Ross der Ewigkeit" zu reiten, erprobt sie an Rätselhaftem und Alltäglichem, an Träumen, toten Kaninchen und dem Rot der Judenbraut. Vieles schwingt hinein: Kompositionen von Mozart und Hieronymus Bosch ebenso wie Ruinen, Straßeneckenküsse und das Sonntagmittagsglibberpuddinggrün.
Vom Summen der Fliege
Roberta Dapunt ist eine Erscheinung für sich. Ihre Verse schweben zwischen Wort und Schweigen, sie sind einfach und wissend, ein Gespräch zwischen dem Heiligen, dem Profanen, und dem, wie sich das Heilige im Profanen manifestiert. Kennen lernte ich ihre Verse vor einigen Jahren durch das so fein übersetzte Bändchen mit dem rätselhaften Titel "Nauz". Die Autorin Roberta Dapunt, eine Bäurin aus Abtei im Gadnertal, die auf Ladinisch und Italienisch schreibt und spricht, wurde damals übersetzt von der bei Bozen lebenden Alma Valazza.
Keine Fremdsprache, keine dir unbekannte Sprache Bauer ist dir die Welt. / Dasselbe Tuch um den Kopf und der zarte Feldspinat auch jenseits der Berge.
las man dort zwischen Fotos, auf denen, wie im Text, das Schlachten der Schweine als das inszeniert wurde, was es wohl auf ihrem Hof ist: ein Akt des Tötens, der vom festlichen Mahle weiß. "Nauz" , das ladinische Wort für Futtertrog, gab auch einen Hinweis auf den nährenden Aspekt ihres Schreiben.
Nun hat der Folio-Verlag mit dem Band "dies mehr als paradies" Dapunts ersten Gedichtband vorgelegt - übersetzt von dem Wiener Übersetzerkollektiv Versatorium, das sich über die Jahre zu einer Sprachschmiede entwickelt hat und Dapunts Gedichte nicht nur ins Hochdeutsche, sondern mitunter auch in einen Dialekt (österreichisch) und einmal sogar ins Georgische überträgt. In diesen hochkonzentrierten Bildern wird das bäuerliche Leben verhandelt, von der Geburt bis zum Tod, vom Blick aus dem Fenster bis zur herbstlichen Rückkehr von der Alm. Dazwischen all die täglichen Verrichtungen, Begegnungen und das Schweigen - alles wird in leisem Ton ins Bild gesetzt.
Ich schulde meinem fenster alles was ich nicht schreibe,
ihm dem ausgebreiteten bild auf dem die gedanken dämmern.
Schulde dem fenster das dauernde summen der fliege
Und das reglose sitzen und das hören bis der abend kommt.
Ihm schulde ich die stockfinsternis und die Pia, die pünktlich
Jeden abend die lämpchen der weihnacht anzündet.
Dem fenster schulde ich was manches mal über stunden mich festhält,
Abtei ist spiegel und uhr meiner tage.
Derzeit ist es Winter in Abtei / Abadia. Wann eigentlich schreibt eine Bäurin?
Winterreise
"Wir sind der Wind, wir sind der Wind" - huscht es beschwörend, fast märchenhaft, durch das erste Gedicht von Esther Kinskys in diesem im Herbst erschienenen Zyklus "Am kalten Hang". Wir sind der Wind. Das himmlische Kind, hört man mit. Das Ich im Gedicht, das für sich alleine nicht mehr ein noch aus weiß, hat die "stirn an einen alten traum" gelegt: es träumt "den traum vom alten wir". Um welches wir geht es hier?
"Viagg'invernal" -winterliche Reise - der Untertitel, gibt Hinweise. Sowohl zur gewählten Form des Zyklus als auch zur Anlässlichkeit der Texte. Wie die Winterreise umfasst "Am Kalten Hang" 2 mal 12 Gedichte. Und wo die Winterreise im Durchwandern der Landschaft eine verlorene Liebe betrauert, schwingt hier der (drohende) Verlust eines Geliebten mit. Doch die Natur ist bei Esther Kinsky, und das ist ihr Geschenk an die Sprache und an uns Leser, kein aufgeladener Sehnsuchtsort, kein ironisierter oder überhöhter Fluchtpunkt und kein Spiegel der Seele. Nein, wie schon bei Emily Dickinson ist die Natur auch hier ganz um ihrer selbst Willen Objekt erhöhter Aufmerksamkeit. Sie verbindet, die Lebenden und die Toten, und sie bezeugt, durch ihre Existenz, durch ihre profane Erhabenheit, dass es etwas gibt, was unsere Menschenwelt zusammenhält - eine Welt, die die Autorin mit dem Geliebten teilt, und die wir miteinander und mit der Autorin und ihrem Wir und Du teilen können, so wir in Worten beieinander zu Gast sind.
Sie hangele sich im Schreiben von Mut zu Mut, hat Kinsky einmal gesagt. "Mir träumt, mir träumt das alles / lag schon in der luft die seit geraumer zeit/ so brandig roch wohin mit all den blättern. / Ein jeglicher an seinen dienst." Mut braucht Magie.
Schmugglers Gut
Schreiben sei Schmuggeln, liest man bei Volker Braun in seiner soeben erschienen "Handbibliothek der Unbehausten".
Wie Wasserbüffel scheuen die Verse sich
Störrische Worte, "idiotische Herde"
Ich locke, ich schlage sie mit Zweigen und Stöcken
Bilder, die wir nicht zu buchstabieren wagen
In der Regenzeit an einer versunkenen Furt
Bis eins / verzweifelt / in die Brühe springt
Und die Strophe folgt ohne Zögern
("Kühe, Büffel, geschmuggelt über die Grenze")
Man sieht, Volker Braun schmuggelt so einige Kassiber in seine jüngsten Gedichte. Hinzu kommt: Schreiben ist aus Verzweiflung gemacht. Es sucht und schafft sich in der Sprache seine eigenen Gesetze . In unbehauster Welt ist der Dichter Volker Braun seit Jahrzehnten zu Hause. "Dämon", "Dotterleben", "La traboule" und "Wilderness" heißen die Kapitel dieses jüngsten Bandes. Das lyrische ich reist um die Welt, streift mal durch China oder Lateinamerika, mal bleibt das Auge an einem alten Gemälde hängen, mal ist es ganz und gar nur bei sich. An Humor, Ironie und Selbstironie mangelt es ihm nicht.
Spähübel ist uns nun und weh vor Wut. /Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut./ ... /Die Welt ging hin, die Anschauungen folgen. / Wie harmlos lag der Blick auf unsern Wolken / Im Baltenmeer ein kinderfrohes Baden / Wave glider drunten sammeln meine Daten.
Braun kennt, beherrscht und spielt mit allen Registern variiert fremde und eigene Töne, bedient sich immer wieder auch bei Bertolt Brecht: "Frau, arbeite härter" heißt es einmal. Und: "Viertausend Jahre die Sandale binden / So wird ein Schuh daraus." Halbsätze wie "Ihr ... wart das Volk. Jetzt soll ich Volker heißen" kalauern zwischen stillen Landschaftsbeschreibungen und kolumbianischen Rolltreppen. So treiben seine Verse ins Offene.
Himmelskinder
Mit seinem poetischen Forschergeist, mit seiner Gabe feinster Beobachtung und freiester Assoziation, hat der österreichische Dichter Peter Waterhouse in der lyrischen Langprosa "Die Auswandernden" Adalbert Stifter, Goethes Unterhaltungen der Ausgewanderten, Spracherkundungen einer nach Österreich einwandernden Georgierin (namens Media) mit Erinnerungen an die Zweisprachigkeit der eigenen Kindheit verwoben. Kompromisslos, unermüdlich. Waterhouse, dieses "von Präzisionskunst heimgesuchte Himmelskind" (so Friederike Mayröcker) gelingt es, durch das Drehen und Wenden kleinster Sprach-Details neue Fäden zu spinnen, die uns allzu bekannt geglaubte Sprache aufzudröseln und die uns allzu selbstverständlich scheinende Wirklichkeit zu hinterfragen. Was etwa haben Worte wie lange, entlanglaufen, verlangen und langeweile miteinander zu tun? und überhaupt. Bei Waterhouse, und das ist eine große Kunst, erhalten durch die Hauptperson die Erfahrungen der "Auswandernden", die ja eigentlich Einwandernde sind, das Gewicht und den Raum, den die Gesellschaft ihnen verweigert.
Wenn ich sie etwas fragte, zog sie sich meist zurück, wurde eigentlich verschwiegen, schien nicht über die Frage oder über eine Antwort nachzudenken, sondern an etwas anderes, das von der Frage ausgelöst war. Verlor sich lange in diesem Andenken und vergaß wahrscheinlich die Frage. Fragen eröffnen einen leisen Raum. Wenn ich Media etwas fragte, blieb sie leise. Etwas gefragt, schien sie an etwas ganz anderes zu denken - daran irgendwie, wie die Nichtantwort lauten könnte, die unerwartete, unerhörte, versteckte, verlorene ....
Beim Lesen von Prosa gleitet das Auge für gewöhnlich Wort für Wort voran, von links nach rechts, von oben nach unten, Seite für Seite. Wir lesen, und die Zeit verstreicht. Bei Peter Waterhouse hält sie nicht selten inne. Und wir mit ihr. Die Berliner Künstlerin Nanne Meyer, auch sie ein Himmelskind, die sich im Zeichnen immer zu neuem Mut aufschwingt, hat Bilder geschaffen, die - im engen Dialog mit dem Text entstanden - die Erzählung seitenlang unterbrechen und so den Leser aus dem Kontinuum des Textes nachdrücklich hinauskatapultieren. Die Zeit dehnt sich in den Raum. Worte, Sätze oder Halbsätze wie "Akteneinsicht" , "Bescheide", "Zeugniseinvernahme" und "Zurückschiebung" - oder "keine" "kein" "nicht" und "ohne" , "Keller, Kellner, Kerker" aber auch Sätze wie "Was bedeutet: nicht deuten?" oder "auswandern - Unterricht im Verlernen und Verlieren" hat sie aus dem Textreich auswandern lassen. So So erhalten sie ein stärkeres Dasein, können sich in Meyers Bildreich einbürgern. Ein Sprach-, Denk- und Augenschmaus.
Ohrenschmaus
Klangvoll geht es zu in Ulrike Almut Sandigs Band "ich bin ein Feld voller Raps, verstecke die Rehe und leuchte wie dreizehn Ölgemälde übereinandergelegt". Nicht, dass man sich tatsächlich vorstellen kann, dass und auf welche Weise dreizehn Ölgemälde übereinandergelegt leuchten, aber dass das Ich ein Rapsfeld ist, und dass ein Rapsfeld leuchtet und so manchem Rehlein dieser Welt Unterschlupf bieten kann, ist unumstößlich; und überhaupt ist der Klang in jedem ihrer Gedichte jeweils anders und in sich jeweils unumstößlich, eine Verführung: mal prosaisch, mal gereimt, dann wieder ein Blankvers. Alles in diesen Gedichten ist präzise komponiert, und alles fügt sich so selbstverständlich wie im Traum. "im Anfangsland lag ich und schrie./ am Ende schweig ich und zieh / ein weiß beschriftetes Spruchband / hinter mir her. Was draufsteht?" Wir möchtens wissen. "ich bin ganz aus Sprache gemacht". Endet das Gedicht. Mitunter fühlt man sich an ein Diktum von Hermann Broch erinnert, dass in jedem deutschen Kunstwerk etwas von der Märchenwelt mit-, nach-oder vorausschwingt; dabei sind Sandigs Texte streckenweise alltäglich, streckenweise beunruhigend aktuell, sie erzählen von Pizzakatzen und Terminatoren, von nächtlichen Mückenattacken und von Drohnen, von den Fallstricken der Liebe, und von Russen und Deutschen im "Schneekugelwald" der Geschichte. Es gibt kein Entkommen vor der eigenen Fantasie, man muss ihr Gestalt geben, um sie zu teilen. Wie, wenn nicht in Sprache?
Nachbemerkung
Zu den poetischen Filmbildern des Jahres gehört Jim Jarmushs jüngster Film Paterson, benannt nach dem gleichnamigen Langgedicht von William Carlos Williams, das hierzulande in der Übersetzung von Karin Graf und Joachim Sartorius zu finden ist. Jarmushs Film Paterson folgt Williams Konzept der Poetisierung des amerikanischen Alltags, doch Jarmushs Hauptperson ist kein dichtender Arzt, sondern einGelegenheits-dichtender Busfahrer, der in Form eines Tagebuchs liebevoll den Ort Paterson porträtiert. Kleine dichte Bilder als Hommage ans Heute.