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Marie Luise Knott

Philippe Rekacewicz, „Kartenmachen“, in Die Sehnsucht des Kartographen, hg. von Stefan Berg, Kunstverein Hannover, Hannover 2004, übersetzt von Marie Luise Knott



Philippe Rekacewicz 


Der Kartograph und seine WeltenNovember 1989. Ganz Europa brodelt, die historischen Ereignisse werfen die geografischen Gewissheiten über denHaufen. Die Berliner Mauer fällt und unter dem nicht endenden Strom der gen Westen drängenden Menschen verschwindet die Grenze, kaum dass sie offen ist. Zeitungen und Fernsehen haben diese Jubelszenen festgehalten -  die Bilder haben sich nachhaltig in das Gedächtnis des Jahrhundertendes eingeprägt. 
Dank der allumfassenden medialen Berichterstattung richtete sich die Aufmerksamkeit weltweit mehrere Wochen lang auf jene glücklichen Massen, die eine „neue Welt“ entdeckten, welche 28 Jahre verboten war. Zur gleichen Zeit setzten sich einige sonderbare  Menschen - deutlich weniger zahlreich und ihrerseits völlig unbemerkt  -  in die entgegengesetzte Richtung in Bewegung, um eine andere „neue Welt“ zu entdecken:  Eine Welt, die bislang hermetisch abgeriegelt war und nun erstmals ihre Tore öffnete.
Ostdeutschland, jenes Land, aus dem in der Vergangenheit nur wenig Verlockendes bis nach Paris gedrungen war, Objekt so vieler Trugbilder gleichwohl - dieses Ostdeutschland bot sich nunmehr den neugierigen Blicken einiger französischer Geographen und Kartographen dar, die in entgegengesetzter Richtung loszogen. Wir näherten uns diesem „neuen europäischen Territorium“ wie jene Eroberer, die im 16. und 17. Jahrhundert aufgebrochen waren in jene rätselumwobenen „terra incognita“ , in die bislang niemand vorgedrungen war. Als einzige Orientierungshilfe besaßen wir veraltete topographische Karten aus dem Osten, die derart verfälscht waren, dass wir praktisch auf ihnen kein Detail der Wirklichkeit wiedererkannten. Auf einem 10 bis 20 Kilometer breiten Streifen entlang der Grenze fehlten die wichtigsten geographischen Elemente -  Straßen und Dörfer, ja die gesamte Infrastruktur, alles, woran man sich auch nur irgendwie hätte orientieren können. Diese weisse, quer über die Karte verlaufende „Schmarre“, dieses no mans land, hatte in der Vergangenheit dafür gesorgt, den Menschen in dieser äußerst sensiblen Region jede Bewegung so unmöglich wie möglich zu machen. Doch diese Schmarre war zugleich die „Grenze des Reiches“, ganz so, als habe die fälschende Hand, die hier am Werk gewesen war, schlimmstenfalls sagen wollen: Hier endet die Zivilisation! Und bestenfalls: Hier beginnt die Zone, die man nicht betreten kann. 
In der sowjetischen Kartographieproduktion ebenso wie in der anderer osteuropäischer Länder waren „weisse Flächen“ keine Seltenheit. Die einzigen hergerichteten Karten, die es gab, basierten auf reinen Lügen: der Westen sah auf ihnen wie eine unberührte Gegend aus,  Miltärbasen existierten nicht, wichtige Städte waren um zig Kilometer verlegt. Das im Norden der lettischen Stadt Liepaja gelegene Gebiet Karaosta etwa, wo sich die größte geheime russische Militärbasis befand und wo Zigtausende lebten und arbeiteten, ist bis Ende der 1980er Jahre auf keinem kartographischen Dokument zu finden.
Nie zuvor haben wir die engen und komplexen  Bezüge zwischen Karte und Raum so deutlich wahrgenommen. Bislang hatten wir gedacht, Karten seien relativ getreue Abbilder der jeweiligen Territorien, auch wenn wir wussten, dass sie nur ein unvollständiges und notdürftiges Bild vermittelten. Trotzdem: erst die außergewöhnlichen historischen Umstände des Mauerfalls boten uns die Gelegenheit, die politischen Aspekte des Kartenmachens zu studieren und die Karte als ein Lügengebilde – und zwar als ein zwiefaches Lügengebilde - unter die Lupe zu nehmen.
 
Zunächst als Auslassungslüge, denn auch wenn die Karte auf kleinstem Format wiedergibt, was in großen weiten Räumen vorhanden ist, ist jede Karte gleichwohl ein gefälschtes Abbild der Wirklichkeit, da man eben niemals alles Vorhandene abbilden kann. (Man denke etwa an die aus der bedingungslosen Suche nach der Wahrheit geborene Vision einer 1/1-Karte bei Lewis Caroll oder Jose Louis Borges (1).) Aufgrund der Erkenntnis, dass man nicht alles Vorhandene abbilden kann,  beschließt der Kartenmacher zu synthetisieren, zu simplifizieren; er kapituliert. Er trifft eine Auswahl der Elemente, die er abbilden will, doch so wohlbegründet die Auswahl auch ist,  in Wirklichkeit ist sie vor allem von seinen (vorhandenen bzw. fehlenden) Kenntnissen, seinem Gespür und seinen Absichten diktiert bzw. von den Wünschen seiner Auftraggeber. Was er darbietet, ist also ein gefiltertes, zensiertes Dokument, das eher seine Weltansicht bezeugt, als dass es eine „bildliche Übertragung“ des Vorgefundenen ist..

 

Desweiteren als Fälschungslüge, denn nicht zuletzt als „Ikone“ ist die Karte durch ihre politische Dimension der Austragungsort vielfältigster Manipulationen – offensichtlicher wie unsichtbarer. Da sie sich nicht wehren kann, ist sie letztendlich ein fragwürdiges Propagandainstrument und die heutigen Mächte in Wirtschaft und Politik  – Staaten, große Lobby-Gruppen, multinationale  Konzerne und multilaterale Organisationen  – bedienen sich ihrer umstandslos, um ihre Macht zu festigen oder uns ihre jeweilige Weltsicht einzuprägen. Kleine Arrangements mit der Wahrheit erhalten so die Staatsraison.
 Längst besetzen Monarchen zur Unterwerfung ihres Volkes das ihrer Gewalt unterstehende Territorium dadurch, dass sie überall Bilder, Statuen oder Porträts anbringen, um den Bewohnern die eigene Gegenwart aufzuzwingen; des weiteren lassen sie Monumentalbauten errichten, um sich große Teile des Territoriums gewaltsam anzueignen. Warum sollten sie da nicht auch Karten als Instrument der Machtausübung einsetzen?

 

Mithilfe einer Karte kann man die Welt aus der Luft anschauen, ganze Länder oder Kontinente mit einem Blick erfassen. Eine Karte verleiht  einem ein Machtgefühl und nährt die Illusion, man würde ein bestimmtes Gebiet beherrschen. Kein Wunder, dass bei der Erstellung von Karten große Sorgfalt aufgewandt und nichts, weder konzeptuell noch in der Ausführung, dem Zufall überlassen wird. Karten können im übrigen dazu beitragen,  ein Volk zu „unterwerfen“ , und so zum Ausdruck absoluter Macht werden. Um sich davon zu überzeugen, muß man nur in Rom die Via dei Fori Imperiali vom Vittorio Emmanuele II zum Kolosseum hinaufgehen und an den Mauern die grotesken zum Ruhme des Römischen Reiches verfertigten Karten ansehen, oder aber die Gallerie delle Carte Geografiche des Vatikanischen Museums (2) aufsuchen, wo die Wände vom Fußboden bis zur Decke mit topografischen Karten Italiens bedeckt sind. 

„Die Karte ist verschwunden. Die Karte? Ja, Meister, jene, welche der König euch überantwortet hatte. Noch bevor Alberto Cantino bei ihm angekommen ist, hat Meister Reimen die Tragweite der Katastrophe erfasst. Vor zwei Monaten hatte der König ihm die Befehlsgewalt übertragen.  Seither war er päpstlich anerkannter „Herr der Eroberung, der Navigation und des Handels zwischen Äthiopien, Arabien, Persien und Indien“. Er, der allein  über die Gewürzroute herrschte,  musste unablässig  das ganze Reich überblicken können, um jederzeit in der Lage zu sein, Entscheidungen zu treffen, wie es seiner Verantwortung in religiösen wie Handelsangelegenheiten entsprach.“ (3)

Lissabon, 1502. Der Historiker Gerard Vindt erzählt in seinem mitreißenden, ein wenig romantisierenden historischen Bericht davon, wie in dem Katographischen Atelier die einzige königliche Weltkarte gestohlen wird, die erstmals Indien wie Brasilien enthielt und nach den von Pedro Alvares Cabral und Dom Vasco da Gama mitgebrachten Beobachtungen und Daten angefertigt worden waren. Das Verschwinden dieser als Staatsgeheimnis eingestuften Karte ist in den Augen des Herrschers ein wirtschaftlicher Verlust, denn er benötigt sie, um zu seinen Besitztümern zu gelangen. Die  geographischen Informationen der Karte sind die Stützen seiner Herrschaft und schützen seine Reichtümer vor neidischen Zugriffen Anderer. Noch heute überwachen die mächtigsten Staaten der Welt penibelst die Herstellung von  Karten und Satellitenbildern. Alle Karten, die wichtige ökonomische oder militärstrategische Informationen enthalten können, werden als streng geheim eingestuft. In den 1980er Jahren forderten einige Golfstaaten, die ihr nationales Kartenwerk im Institut Geographique National Francais (IGN) drucken ließen, dass die Druckmaschinen während des Drucks abgedeckt  und von Sicherheitsleuten bewacht werden müssten, die alle Andrucke und Fehldrucke unmittelbar zu vernichten hatten. .

 Saddam Hussein, ein miserabler Stratege aber ein großer Kommunikator, präsentierte sich im August 1990 nach dem Einmarsch in Kuwait im Fernsehen neben einer Landkarte, in der das kleine – reiche – Nachbarland bereits als 19. Provinz des Iraks verzeichnet war. So wollte er die Welt von der Irreversibilität seiner „neuen Geografie“ überzeugen, und er hatte nicht unrecht, denn alle Welt war zunächst  konsterniert ob soviel Unverfrorenheit. Er hatte die unerhörte Macht des Bildes erkannt; so  konnte er die Eroberung sinnfällig machen. Geschichte und Geographie, sagte er, gäben ihm recht. Um seine Invasion zu rechtfertigen, demonstrierte er unter Zuhilfenahme der Karte zweierlei: zum einen, wie Kuwait in der Grenzregion von Rumailah irakische Ölvorkommen illegalerweise unter der Erde anzapfte, und zum anderen, dass der Irak keinen geregelten Zugang zum Golf besaß, solange es keine Nutzungsverträge für die Inseln Warba und Boubyan in der Chatt-al-Arab-Mündung gab. Die Alliierten, allen voran die USA,  setzten dagegen auf das internationale Recht, erwirkten eine UN-Resolution, vertrieben die Iraker mit einem Militärschlag aus Kuwait, und stellten die Grenze zwischen den beiden Staaten wieder her. Im November 1994 endlich gelang es einer internationalen Kommission unter der Leitung von Miklos Pinther, dem Leiter der kartographischen Abteilung der UNO, offiziell den neuen Grenzverlauf  festzulegen;  Kuwait und der Irak unterzeichneten ein entsprechendes Abkommen, letzterer allerdings eher widerwillig. Vergleicht man die Karte mit dem früheren Grenzverlauf, so fällt auf, dass der Irak an einigen wenigen Stellen insbesondere in der Umgebung des Hafens von Oum Qasr und den Ölfeldern von Rumailah, einen Teil seines Staatsgebietes eingebüßt hat.

Karten sind Herrschaftsinstrumente und  mit ihrer Hilfe kann man  auch einige ethnische oder nationale Forderungen formalisieren, vor allem wenn es darum geht, heutige Grenzverläufe zu fixieren, was bekanntlich nicht selten ein gefährliches Unterfangen ist, weil Staaten oft ein äußerst irrationales Verhältnis zu ihrem Staatsgebiet  haben. Die Vorstellung, es könnte eine „offizielle“, das heißt von allen gutgeheißene Aufteilung der Welt geben, ist  eine Illusion, der man entgegentreten muß. Wie sollte eine derartige „gute Karte“ beschaffen sein? Eine Karte, die von Dauer wäre, ist eine enorme Herausforderung. Jeder hat seine Wahrheit, seine eigenen identitätsstiftenden historischen wie geografischen Argumente. Eine „Autorität“, die gültige Regeln aufstellt und einfache Lösungen bietet, gibt es nicht. Diese Leere kann durch nichts aufgewogen werden, nur durch mehr oder weniger schlüssige intellektuelle Konstrukte, derer sich die Kartenhersteller, in erster Linie also die Staaten, bedienen, oder bestenfalls durch „Empfehlungen“ multilateraler Organisationen.

Im Februar 2001, während der Umweltministerkonferenz der Vereinten Nationen, unterbrachen die Vertreter der Volksrepublik China vor den versammelten ungläubigen Delegierten die Sitzung verließen den Saal und boykottierten die weitere Debatte unter dem Vorwand, dass auf einer Karte und in einem der Arbeitsdokumente Taiwan als unabhängigen Staat aufgeführt war. Sie erklärten, dass sie nur dann an den Verhandlungstisch zurückkehren würden, wenn die entsprechenden Dokumente aus dem Verkehr gezogen seien. Da China ein wichtiges Geberland ist, wurden die Forderungen unmittelbar erfüllt. 
Die Regierung von Marokko seinerseits zensiert durchgängig alle Veröffentlichungen, in denen auf Karten eine Grenzlinie (und sei es auch nur eine gestrichelte) die„ex-spanischen“ Westsahara ( die Marokko seit 1976 besetzt hält) vom Rest des Landes abtrennt. Die Bezeichnung „Israel“ war in diversen arabischen Staaten bis zu den ersten Friedenverträgen und den ersten diplomatischen Abkommen Mitte der achtziger Jahre in Atlanten und Büchern verboten. Um die Zensur zu umgehen, forderten viele Verleger  deshalb die Lektoratsabteilungen im Vorfeld auf,  ihre Darstellungen den entsprechenden politischen Forderungen anzupassen: Westsahara war integraler Bestandteil Marokkos, ohne dass eine Grenze vorkam, und auf den Karten des Nahen Ostens wurde „Israel“ durch „Palästina“ ersetzt. Das war der Preis, den  französische Verleger zahlten, um sich im französischsprachigen  Nordafrika (vor allem im Schulbuchbereich) ihre einträglichen Geschäfte zu sichern. Zensur ist also eine gut funktionierende Form der Erpressung zumal dort, wo ökonomische Interessen im Spiel sind.

Die Karte, eine hochpolitisches Instrument, ist außerdem und zuallererst ein Bild, das mit  künstlerischen Mitteln hergestellt wird.. Kartenmacher, so könnte man es mit Jean-Claude Groshens sagen,  befinden sich am „Zusammenfluss von exakter Wissenschaft und Kunst“ (4).. Die Karte ist nicht vollständig exakte Wissenschaft und nicht vollständig Kunst, aber sie ist insofern Kunst, als sie durch Farben und Formen prägt,  und insofern Wissenschaft, als sie auf wissenschaftlich erhobenen Daten basiert. Für die Kartographen früherer Jahrhunderte war die Karte fraglos ein Kunstwerk, ja, manchmal fast ein Lebenswerk. Stundenlang kann man diese Meisterwerke der Präzision und Anmut bestaunen und darüber fast ihre politische Funktion vergessen: dem Monarchen eine Darstellung seines Reiches zu bieten, die der Verteidigung  ebenso wie der Bewunderung dient. Es bedurfte jahrelanger Arbeit, um jene Karten mit trompetenden Engelchen herzustellen, mit von pausbäckigen Winden angetriebenen Galeonen und Karavellen, die inmitten von aus den Fluten emportauchenden Neptunen und Sirenen durch die Ozeane kreuzten. Heute schaut man gerührt auf diese ungeschickten Darstellungen der Kontinente, aber dafür, dass es damals keine Flugzeug und keine Beobachtungssatelliten gab, konnte sich das Ergebnis sehen lassen: Die Proportionen waren zwar ungenau, doch die Formen waren verblüffend gut getroffen.

Der Kartenmacher von Heute ist zuallererst Geograph, er versieht seine Karten mit den Insignien der Landschaft und der menschlichen Präsenz, transformiert die Fakten in visuelle Zeichen: die Karte wird zum Ensemble aus Formen und Farben. Er erarbeitet sich sein eigenes Darstellungssystem, dabei macht er Anleihen bei der graphischen Semiologie (5), ordnet die Objekte nach drei Ebenen - Linie, Punkt und Fläche (6) - und vollendet seine Darstellung der Welt  durch die Suche nach einem harmonischen Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Grundelementen. Durch seine künstlerischen Fähigkeiten kann er jedem seiner kartographischen Werke ein eigenes Gesicht verleihen. Damit beeinflusst er nicht zuletzt die Art und Weise der Interpretation. Auf einer Veranstaltung zur Präsentation  des „Atlas der Globalisierung“ (7)  in Berlin kommentierte eine Leserin die Karten im Atlas wie folgt: Ich bin verwirrt. Hier in Deutschland haben Atlanten gewöhnlich sehr lebendige Farben und starke Kontraste, ganz besonders dort, wo die  dramatischen Veränderungen auf unserem Planeten dargestellt werden. Sie machen in Ihrem Atlas das Gegenteil:  Sie verwenden  sanfte, aufeinander abgestimmte Farben , teils arbeiten Sie sogar Ton in Ton,  und das, obwohl gerade Ihr Atlas so genau herausarbeitet, wie schlecht es um die Welt bestellt ist, wie groß Leid und Ungerechtigkeit sind. Doch Ihre Auswahl der Farben vermittelt  den Eindruck, die Welt sei schön und alles stehe zum Besten. 

Jeder Leser ist vorgeprägt. Sein Verständnis der Farbe ist an seine kulturelle Umgebung gebunden und somit relativ. Er erwartet zum Beispiel, dass ein bedrohliches Phänomen auch in einer bedrohlichen Farbe dargestellt wird. Mindestens zwei Generationen von Schülern haben sich die Karten des Kalten Krieges mit ihren typischen Farben eingeprägt: Rot für die Bösen, und blau für die Guten. Das ist nur wenig übertrieben, denn damals war der Feind leicht zu erkennen. Ein bedrohliches, brutales Blutrot für die Sowjetunion und deren Satellitenstaaten, und ein sanftes Wasserblau für die USA und ihre Verbündeten; Blau, so Michel Pastoureau (8), ist die Lieblingsfarbe aller westlichen Staaten, denn es greift nicht an, dringt nirgends ein.Grün kann sehr verschiedene Bedeutungen haben: In Norwegen symbolisiert es Naturschutz, in Saudiarabien den Islam und in Irland, wo es Nationalfarbe ist, verbindet Grün die verschiedenen Gruppen – grenzübergreifend. Betrachtet man die Afrikakarten genauer, insbesondere jene, die in Europa hergestellt werden, fällt auf, dass sanftes ockergelb und dunkelgrün als Farbeindruck dominieren: die trockene staubige Savanne und der dichte Äquator-Urwald. Dabei genügt ein Gang über den Markt von Ouagadougou oder Bamako, um sich davon überzeugen, welches Farbspektrum tatsächlich für Afrika charakteristisch ist.  Ein Lehrer im Tschad hat es einmal treffend und poetisch auf den Punkt gebracht, als noch alle Schulbücher in afrikanischen Schulklassen aus Frankreich kamen:: „Irgendwas stimmt nicht mit den Karten“, sagte er. „Sie sind so bleich, so fahl. Man könnte meinen, sie seien krank.“

Die Kartographie bedient sich also der Kunst, um die Welt zu verschönern. Oder um sie hässlicher zu machen. Hier und da verstärkt der Kartenmacher einen Strich, wie Paul Klee oder Joan Miro,  legt Linien oder Flächen übereinander, wie Jasper Johns oder Vassily Kandinsky, verstärkt Bewegungen oder Formen, wie Lyonel Feininger oder Pablo Picasso, manipuliert die Farben, wie Josef Albers, Johannes Itten oder Liubov Popova, dramatisiert Dinge durch Licht und Schatten, wie  Edward Hopper und Kazimir Malewitsch es so wunderbar konnten – und das Alles, um Gutes oder Schlechtes deutlicher hervortreten zu lassen. Der Kartenmacher entlehnt sich von den Malern ihre Ausdrucksmittel. Er ist der Filter, durch den die Fakten (also die Wissenschaft) hindurch müssen, um ein Werk zu werden. Ist eine Karte ein Werk? Zweifelsohne, wenn man davon ausgeht, dass jede Karte mehr ist als „nur“ die (zumeist simplifizierte) Darstellung eines Gebietes im Kleinformat; sie ist vielmehr auch Ausdruck der Wahrnehmungen des  Kartenmachers, seiner politischen wie poetischen Vorstellung von der menschlichen Gesellschaft und der jeweiligen Eroberung der Räume. Um seine Arbeit gut zu tun, verwandelt sich der Kartograph nacheinander in einen Ökonomen, einen Demographen, einen Geologen, einen Geomorphologen usw. Am Ende dann in einen Geographen und Künstler. Um „seine Welten“ zu erschaffen, oder richtiger: zu erfinden, gelangt er schließlich zu einer besonderen Liaison: der Liaison zwischen der Welt, wie sie ist, und der Welt, wie er sie sich wünscht. 

Lewis Carroll, Sylvie and Bruno Concluded, London 1893; Chapter XI:  The Man in the Moon. Und außerdem: .)  Jorge Louis Borges, Von der Strenge der Wissenschaft, in: Borges und ich, Gesammelte Werke Bd. VI, München 1982. 
Galeria delle Carte Geografiche  im Vatikanischen Museum in Rom, riesige Freskenserie entworfen von dem italienischen Dominikanermönch und Kartographen Ignazio Danti (1537 – 86) im Auftrage von Papst Gregor XIII (1572 – 85) . Siehe hierzu: The Galley of maps in Vatican, New York (George Braziller Incorporation) 1997.

Gérard Vindt, Le planisphère d’Alberto Cantino, Lissabon 1502, Paris (Editions autrement), 1998.

Ausstellungskatlog : Cartes et figures e la terre, Paris (Centre George Pompidou) 1980.

Die von Jacques Bertin herausgegebene „Graphische Semiologie. Diagramme, Netze, Karten“ Berlin (Gruyter) 1983, ist weltweit die Bibel der Kartographen.  Äußerst detailliert untersucht Bertin darin die Regeln der graphischen Sprache. 

Vassily Kandinsky veröffentlichte 1926, zu seiner Zeit am Bauhaus,  das Buch „Punkt und Linie zu Fläche. Beitrag zur Analyse der malerischen Elemente“, 1926      

Atlas der Globalisierung, Le Monde diplomatique (Hrsg.) Berlin 2003. Mit einem Vorwort von Hermann Scheer.