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Marie Luise Knott

Michel Pastoureau, Des Teufels Tuch. Eine Kulturgeschichte der Streifen und  der gestreiften Stoffe,
Frankfurt a. Main 1995

 

Aus dem Französischen von Marie Luise Knott. Campus Verlag, Frankfurt am Main, New York 1995. 144 S., 120 Farb- u. S/W-Abb., geb., 68,- DM.

 

Link zur Rezension in der Frankfurter allgemeinen Zeitung 

Aus einer Mücke einen Elefanten, aus scheinbar Ephemerem famose Historie zu machen - diese hohe Kunst versteht Michel Pastoureau wie kein zweiter. Seine ersten objets trouvés waren Wappen, Siegel und Medaillen: bescheidene Accessoires, denen man selbst auf der altmodischen École de Chartes, der Eliteschule der französischen Archivare, nur mißmutig Beachtung schenkte. Jedenfalls hatte Pastoureau, der 1968 in diese ehrwürdige Institution eingetreten war, alle Mühe, dort sein Dissertationsthema - heraldische Tierdarstellung im Mittelalter - durchzusetzen. Immerhin, er reüssierte und revanchierte sich dann auf seine Weise: nicht nur, indem er durch magistrale Lehr- und Handbücher über die Heraldik und ihre Nachbarmaterien bald zum unbestrittenen Papst dieser "Hilfswissenschaften" avancierte, sondern auch (und das mochte der Historiker-Altherrenriege noch dubioser vorkommen), indem er den verkannten Disziplinen eine gehörige Dosis an Semiotik, Sozialgeschichte und historischer Anthropologie verpaßte.

Inzwischen hat Pastoureau, Inhaber des Sorbonne-Lehrstuhls für die "Geschichte der europäischen Symbolik", seine Neugier gleichsam auf objets trouvés zweiten Grades ausgedehnt: auf Farben, Tier- oder Pflanzen-Embleme. Daraus sind launige Bücher geworden (eine "Symbolgeschichte des Apfels" etwa oder ein Lexikon über die Farbsymbolik), dahinter verbirgt sich aber stets eine Methode, deren Eleganz und Einfachheit bezwingt. Das originellste von allen, seine 1991 erschienene Geschichte der Streifen, liegt jetzt auch auf deutsch vor - in einer guten, ja findigen Übersetzung. Überdies hat sich der ursprünglich nur sparsam illustrierte Essay in der zweiten Auflage in ein opulentes Bilderbuch verwandelt, was ihm auch den Zugang zu jenem Publikum garantieren dürfte, das einzig der Augenlust frönen will. Diesen Flaneurs kann nur geraten werden, auch einmal in den Text zu schauen, dort nämlich gibt es "histoire totale".

 

Rezension in der ZEIT

Ein Streifen kommt selten allein. Deshalb gleich eine Warnung vorweg. Wer in harmloser Absicht dieses Buch zur Hand nimmt, fühlt sich unversehens verfolgt. Sieht auf einmal die Welt ringsum in längliche Bänder zerlegt, wo er geht und steht. Hier breit & plump, dort spaghettischmal. Das Hemd des Kollegen. Den Balkencode auf der Kaffeepackung. Das Fußballertrikot, den Börsenanzug, die Zahnpasta und den Luftpostbrief. Notenblätter. Kinokarten. Ackerfurchen.

Ja, und nicht zuletzt jenes Gedankengeländer, das stets Halt im Ungewissen bietet, die Zeilen der ZEIT.

Von Streifen umstellt. Wohin das führen kann? Alfred Hitchcock hat einen Film darüber gedreht: "Ich kämpfe um dich". Der Held: ein Mann, der sich verfolgt fühlt, ein Streifenphobiker. Als Kind erlebte er, wie sich sein Bruder auf einem Zaun aufspießte. Seitdem fühlt er sich schuldig. Im Gesamtwerk Hitchcocks eher ein Beitrag mittlerer Güteklasse. Genial hingegen, was der Regisseur optisch aus dem Thema herausholte: das Spiel von Licht und Schatten, durch einen Vorhang hindurch. Die immer wieder ins Bild gerückten Zäune, Schranken, Sperren, bis hin zu den Spuren der Skier im Schnee und zu den Eisenbahnschwellen, durch das Fenster des fahrenden Zuges gesehen. Jede Menge Streifen-Symbolik.