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Marie Luise Knott

„Euthanasie mit Einfühlung. Die Schlächter dessen, was wir verzehren, sind unter uns. Darüber lässt J. M. Coetzee eine seiner Romanfiguren erschrecken. Unser Verhältnis zu den Tieren treibt den südafrikanischen Autor um“, in die tageszeitung Mag, 10./11. Februar 2001

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"Zu Füßen eines alten Mannes habe ich einen Mythos in mich aufgesogen von einer Vergangenheit, in der Tier und Mensch und Herr ein gemeinsames Leben führten, so unschuldig wie die Sterne am Himmel . . .", schreibt der Schriftsteller J. M. Coetzee in einem seiner frühen Romane, "Im Herzen des Landes". Ein derart unschuldiges gemeinsames Leben dürfte es wohl nur dereinst im Paradies gegeben haben. Die derzeit hochaktuelle Frage, was von dieser - als ursprünglich angenommenen - Achtung übrig geblieben ist, anders gesagt: auf welchen Hund die Beziehungen zwischen Mensch und Tier gekommen sind, durchzieht die Romane des südafrikanischen Autors - zuletzt seinen Roman "Schande", der 1999 erschien.

Kürzlich veröffentlichte der S. Fischer Verlag eine Kurzprosa des Autors: "Das Leben der Tiere". Coetzee war eingeladen, einen Vortrag über das Verhältnis zwischen Mensch und Tier zu halten, doch anstelle einer Abhandlung verfasste er eine Parabel, die ironisch-sarkastisch daherkommt und umso eindringlicher die Verlassenheit des Menschen inszeniert.

Die Geschichte, die Coetzee in seiner Lecture erzählt, handelt von einer australischen Schriftstellerin, Mrs. Costello, die in das gepflegte Ambiente einer amerikanischen Universität zu Vorträgen über das Verhältnis des Menschen zu Tieren eingeladen wird. Die Protagonistin dieses "Spiels im Spiele" ist eine Feministin und vehemente, gesinnungsterroristische Vorkämpferin für die Rechte von Nutz- und Schlachttieren. Erzählt wird ihr Aufenthalt mitsamt der akademischen Debatte und dem entsprechenden Dinner aus der Perspektive ihres Sohnes, mit dessen (Fleisch verzehrenden) Kindern Großmutter Costello sich weigert an einem Tisch zu essen.

Die Ausführungen der "Vegetaristin" (wie sie sich selbst nennt) sind vor allem vom guten Willen gezeichnet. Ihre These ist klar und deutlich: Der Mensch hat den Verstand über alles gesetzt und das Tier (einst wie der Mensch eine göttliche Kreatur) zur minderen Art erkoren. Er hat Mordanstalten (Schlachthöfe) errichtet und sich an den Tieren schuldig gemacht. Das NS-Vernichtungslager Treblinka, wo die Haut von Juden zu Lampenschirmen und ihr Knochenmehl zu Dünger verarbeitet wurde, unterscheide sich recht eigentlich nicht von den Schlachthöfen, wie sie dereinst in Chicago als Fortschritt gefeiert wurden. "Ich will es deutlich sagen", heißt es bei Mrs. Costello: "Rings um uns herrscht ein System der Entwürdigung, der Grausamkeit und des Tötens, das sich mit allem messen kann, wozu das Dritte Reich fähig war, ja es noch in den Schatten stellt, weil unser System kein Ende kennt, sich selbst regeneriert, unaufhörlich Kaninchen, Ratten, Geflügel, Vieh für das Messer des Schlächters auf die Welt bringt."